Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tänzerin im Schnee - Roman

Die Tänzerin im Schnee - Roman

Titel: Die Tänzerin im Schnee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
tun hatten, am meisten beeindruckt.«
    »Ach so?«
    Drew schwieg einen Augenblick und kramte in ihren Erinnerungen. »Einmal haben wir Porzellan versteigert, lauter wunderschöne Stücke, Tee-Service, Vasen und Figuren. Ein Großteil der Stücke kamvon einer Frau, deren verstorbene Mutter zeitlebens Nippes gesammelt hatte. Einige ihrer Sachen waren wirklich ganz niedlich, besonders die kleinen Tiere, Schwäne, Kaninchen und so was. Ich war dabei, als einer unserer Schätzer sich die Sammlung ansah, und entdeckte, dass auf jeder der Figuren unten ein Stück Kreppband mit einem Namen klebte. Insgesamt waren es drei Namen; ich weiß sie immer noch: Anne, Lise und Clara. Die Handschrift war sehr wacklig; offensichtlich hatte diejenige, die die Figuren beschriftet hatte – die verstorbene Mutter jener Frau, nehme ich an –, zittrige Hände. Ich weiß bis heute nicht, wer Anne, Lise und Clara waren, aber vermutlich waren es ihre Nichten oder Enkelinnen. Jedenfalls hieß die Frau, die uns die Porzellanfiguren gegeben hatte, anders, und ich musste wochenlang immer wieder und wieder daran denken, dass die Mädchen, denen diese Tierchen zugedacht waren, sie nicht bekommen hatten. Dass man dem Letzten Willen der alten Dame nicht nachgekommen war.«
    Grigori dachte laut nach: »Aber vielleicht waren die Beschriftungen ja schon älter? Und vielleicht war die Verstorbene Anne, Lise oder Clara? Sie könnte ja die Figuren selbst schon geerbt haben.«
    »Nein, das Kreppband war noch neu, das konnte man sehen. Mit der Zeit vergilbt es ja und wird hart.« Sie überlegte einen Augenblick. »Am meisten hat es mich bewegt, einfach nur die drei Namen in der Handschrift der Frau zu sehen, der Tante oder Großmutter oder was sie denn war. Ich sah immer wieder diese sterbenskranke alte Dame vor mir, wie sie ihre Sachen durchsortierte und sich überlegte, welche sie Anne oder Lise und welche sie Clara überlassen wollte. Ihre Handschrift wirkte so entschlossen.«
    Grigori spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. Er dachte an Christine, an jenen furchtbaren Herbsttag drei Monate vor ihrem Tod. Sie war mit ihm all ihre Sachen durchgegangen, hatte Listen mit den Dingen aufgestellt, die sie Amelie vermachen wollte, ihre Erinnerungsstücke vom College für die Studentinnenvereinigung vorsortiert und ihm dann, und das war das Schrecklichste gewesen, genau beschrieben, wie sie sich ihre Beerdigung vorstellte.
    »Ich fürchte, das war eine ziemlich deprimierende Geschichte.« Drew senkte den Blick. »Es tut mir leid.«
    »Oh, nein, bitte, ich bin derjenige, der sich zu entschuldigen hat. Ich halte Sie schon viel zu lange von der Arbeit ab.« Sie hatte ihre Unterarme auf den Tisch gelegt und ein Bein lang ausgestreckt, so dass ihr Fuß neben Grigoris stand. Er hatte plötzlich das Gefühl, schon viel zu lange geblieben zu sein, stand auf und rückte seinen Stuhl zurecht.
    »Wie gesagt«, schob Drew hastig nach, indem sie seinem Beispiel folgte und ebenfalls aufstand, »falls Ihnen noch etwas einfällt, das wir für die Beilage benutzen könnten …«
    »Ich werde mal nachsehen.« Er bemerkte, wie schroff das klang.
    »Danke, sehr freundlich«, sagte Drew. Sie gab ihm die Hand und fügte, bevor sie wieder losließ, noch hinzu: »Manchmal ist es erstaunlich, was so alles zutage kommt.«
     
    »Also, wer genau sind Sie?«
    Sie hatte ihn das auf Russisch gefragt und dabei ein wenig, andeutungsweise nur, über den schüchternen jungen Mann lächeln müssen, der da vor ihr im Windfang stand. Ein Junge fast, jedenfalls noch ein wenig schlaksig und unbeholfen. Dichtes, von der dumpfen Schwüle des Tages gekräuseltes Haar. Er begann leise zu sprechen und zog dabei den Kopf ein, als bemühte er sich, Nina nicht ganz so weit zu überragen.
    »Ich heiße Grigori Solodin.« Er hielt sich zaghaft von der Glastür zurück, die Nina nur einen Spaltbreit geöffnet hatte, und erwartete offensichtlich nicht, dass ihr der Name etwas sagte. »Ich glaube, dass Sie und ich …« Dies Zaudern und dieser Feuereifer. Er glaubte, brachte er endlich heraus, dass sie und er verwandt seien.
    Sie war verwirrt. Begriff nicht, ja ahnte nicht einmal, was er damit meinen könnte. Dennoch begann sie plötzlich zu zittern, und ein namenloser Schrecken fuhr ihr durch die Glieder. Also musste sie es doch begriffen haben, so sagte sie sich später. Vielleicht hatte auch Grigori Solodin es gespürt. Er sprudelte los, von diesem schrecklichen Eifer getrieben. »Ich bin 1952 in Moskau

Weitere Kostenlose Bücher