Die Tänzerin im Schnee - Roman
steigt schon bleich und verstohlen der Morgen herauf.
Los 41
Jugendstil-Hutnadel in Schmetterlingsform aus Fensteremail und
Diamanten. Die von Rosenschliff-Diamanten gerahmten Fensteremail-Flügel
sind
en tremblant
gefasst. Körper und Kopf aus grünem
Email mit Diamanten verschiedener Qualitätsstufen im Altschliff,
Feinschliff und Achtkantschliff. Gravierte Beine, Fassung aus 18-kt.-
Gold mit Platinbesatz, Maße 6,4 x 8,9 cm (
En-tremblant -
Mechanis mus
unbeweglich). 10 000 bis 15 000 Dollar.
Hinweis: Ein ähnliches, signiertes Exemplar von Eugène Feuillâtre
wurde im September 1990 hier versteigert und ist in der Sektion Fine
Jewelry der Beller Galleries, Auktion 1462, Los 326, zu sehen.
KAPITEL 8
A m Montag in den frühen Morgenstunden fiel ein Blizzard in Massachusetts ein. Er trieb dicke weiße Flocken in dichten Wirbeln vor sich her, wie große, wehende Spitzengardinen; Dienstag wurde er offiziell zum stärksten Unwetter seit Beginn der Aufzeichnungen erklärt. Grigori kam später als üblich ins Institut, weil er, wie alle anderen, von den Schneemassen aufgehalten worden war.
Mit Evelyn hatte er seit ihrer Verabredung am Freitagabend noch nicht gesprochen. Er saß am Schreibtisch, versuchte, die Zeitung zu lesen, die er am Kiosk geholt hatte (selbst sein Zeitungsausträger war später dran gewesen), und redete sich zum wiederholten Mal ein, es sei alles in Ordnung, kein Grund zur Sorge, er sei »Dates« nur eben nicht gewohnt, und schon gar keine Dates mit Evelyn. Aber dann stand ihm wieder die unangenehme Szene vor Augen, als sie sich endlich verabschiedet hatten, als Evelyn die Tür schloss und dabei den Kopf hängen ließ, als hätte sie begriffen, dass der Abend eine einzige Dummheit gewesen war.
Nach dem Ballett waren sie zu Fuß in ein Weinlokal gegangen, wo Grigori, nervös, wie er war, wohl zu viel getrunken haben musste. Er redete sich fortwährend ein, sein Unbehagen habe nichts mit Evelyn zu tun, sondern nur mit seiner Begegnung mit Drew Brooks im Foyer. In seiner Aufregung trank er in der gemütlichen Sitznische des Lokals einige Bourbons mehr als üblich, und als er Evelyn dann von der U-Bahn nach Hause brachte und sie ihn fragte, ob er auf einen Tee mit reinkommen wollte, kam er gar nicht auf die Idee, nein zu sagen.
Sie trug an dem Abend ihren geschlitzten Rock. Grigori sah ihn nicht zum ersten Mal, aber erst im Weinlokal wurde er darauf aufmerksam, dass immer ein Ausschnitt von ihrem Bein hindurchblitzte. Als sie dann in ihrer Wohnung auf dem Ledersofa saßen und Evelyn ihn am Arm berührte, senkte er schüchtern den Blick und blieb mit den Augen an jenem Rockschlitz hängen. Er blickte schnell wieder auf, aber es war zu spät; Evelyn war seinem Blick gefolgt. Sie küssteihn, und seine Gedanken überschlugen sich – die Vorstellung, dass er jemanden küsste, dass dieser Jemand nicht Christine war, dass er das tat, was man »nach vorn sehen« nannte, die Verblüffung und Neugierde –, und dann fragte Evelyn: »Ist es okay?«, und ihm wurde klar, dass er, ohne es selbst zu wollen, vor ihr zurückgewichen war.
In dem Moment hätte er begreifen müssen, wie heikel solche Situationen waren und dass man nichts überstürzen durfte. Stattdessen hatte er in seiner Verwirrung eine Entschuldigung gemurmelt und sie noch einmal zu küssen versucht, um ihr zu zeigen, dass es okay sei. Aber als sie auf seinen Kuss reagierte, verließ ihn plötzlich der Mut. Evelyn bemerkte, dass er zögerte, und erklärte großmütig: »Wir können es langsam angehen, wenn du willst.« Ihre Frisur war in Unordnung geraten. Grigori war über sein eigenes Verhalten todunglücklich.
Und all das, dachte er jetzt (indem er die Zeitungslektüre endgültig aufgab), wäre nicht passiert, wäre er nicht Drew Brooks über den Weg gelaufen. Dann wäre er nicht so nervös gewesen und hätte nicht so viel von dem Maker’s Mark getrunken. Oder wenn Drew und er sich zumindest rechtzeitig auf eine unverbindliche Formulierung geeinigt hätten, mit der sie ihre Bekanntschaft erklären konnten … Grigori hätte sich dann nicht ständig den Kopf darüber zerbrochen, welche Notlüge er Evelyn auftischen sollte, um ihr nichts von der Auktion und dem Kettenanhänger erzählen zu müssen. Denn das war der Kern des Problems, wie Grigori jetzt auf einmal klar wurde. Er konnte sich nicht vorstellen, mit Evelyn seine Geheimnisse zu teilen.
Nun, so etwas braucht eben seine Zeit, sagte er sich und warf die Zeitung in den
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