Die Tänzerin von Darkover - 9
vor Zorn. Und wie gewohnt stellte sich der Gedanke ein: Schließlich hat sie doch noch alle für sich gewonnen. Jetzt sind sie alle ein Teil dieser verdammten Veränderung, die Hastur herbeiwünscht. Sie stürzen sich blindlings in eine Zukunft ohne Vergangenheit, ohne wahres Darkover.
»Frohe Festnacht, Dom«, wünschte Endreas im Vorübergehen.
Seine Augen wirkten heute stumpf und leer (ganz anders als die seiner Schwester, die stets strahlten – schon wieder drängte sich ihm dieser Gedanke auf).
»Das selbe für Euch«, erwiderte Ruyven mit jenem stets gleichgültigen Gesichtsausdruck, den er auch der Schwester gegenüber gezeigt hatte. »Ich freue mich schon darauf, Euch heute abend tanzen zu sehen. Der Schwerttanz ist wirklich eine große Ehre.«
Mit diesen Worten trennten sie sich. Welch eine Ironie, dachte Ruyven. Beide sollen heute abend tanzen. Bruder und Schwester. Und doch kann ich nur an sie denken. Und daran, wie sie wieder alle verhexen wird. Diese Narren!
Regis Hastur hatte persönlich darum gebeten, daß Alessandra Aillard die diesjährige Festnacht mit ihrem Tanz eröffnet. Es sollte ihr erster öffentlicher Auftritt auf Darkover werden, und jeder wußte, daß dies für sie eine einzigartige Gelegenheit bedeutete: sie konnte nicht nur sich selbst vollständig rehabilitieren, sondern sich auch bei denen wirklich beliebt machen, auf die es am meisten ankam – bei den Comyn. Diese Festnacht sollte Alessandras Nacht werden. Das alles ahnte Ruyven; aber er wußte nicht, daß mit Sondergenehmigung und gegen alle Tradition diesmal sogar Korrespondenten aus Terra der Festnacht beiwohnen und Alessandras Vorführung aufzeichnen sollten. Hastur wollte in der Tat klare Verhältnisse schaffen.
Im großen Ballsaal drängten sich die Menschen dicht an dicht.
Überall tauchten bekannte Gesichter auf. Regis stand mit einem Glas Wein in der Hand abseits und beobachtete sie auf seine typisch melancholische Art.
Auch der alte Nicholas, der Vater von Daniella und Alessandra, war mit dem Raumtransporter nach Darkover zurückgekehrt.
Einige hielten ihn für einen alten Narren, aber Regis sah in ihm eher ein großes, gutmütiges Kind, das sich nun, in Ehren ergraut, mit einem Comyn-Bekannten aus längst vergangenen Tagen unterhielt.
Lerrys rauhes Lachen war meilenweit zu hören. Nur wenige Schritte von den Ridenows entfernt befanden sich einige Frauen aus dem Clan Di Asturien. Domna Mariel pflanzte ihre schwergewichtige Gestalt in einen Sessel und nippte an einem Fruchtpunsch. Ihre Kinder und Enkel scharten sich um sie: da war die hübsche Lorinda, die mit ihren dreizehn Jahren gerade erst erblühte; die ältere Graciela war so stämmig gebaut wie ihre Mutter und hatte ihren eigenen Nachwuchs mitgebracht – immerhin auch schon drei. Dom Evan-Domenic stand in einiger Entfernung bei seinem zweiten Sohn Ruyven. Der älteste, Geremy, war nicht anwesend, und der jüngste, der fünfzehnjährige Keenan, leistete gerade seinen Kadettendienst.
Wie die Zeit vergeht, dachte Regis. Vor seinen Augen vermischte sich die Realität mit Bildern, die aus seiner Erinnerung aufstiegen; in letzter Zeit neigte er mehr und mehr dazu. Anstelle von Evan-Domenic sah er den alten Domenic Di Asturien, so wie er ihn aus ihrer Kadettenzeit im Gedächtnis behalten hatte – der Inbegriff von Tradition.
Sein Herz schlug schneller, als er glaubte, seinen guten Danilo in der Menge zu erblicken, den jungen, unschuldigen Danilo, der er einst gewesen war, und nicht den treuen, aber müden Friedsmann, den Regis jetzt kannte. Aber das konnte nicht sein, Danilo war nicht hier.
Und blickten ihn da nicht jene unvergeßlichen, stechenden Adleraugen an? Der dunkle Teint, die edlen Gesichtszüge, umrahmt von dichten schwarzen Locken, die herausfordernd geschwungenen Lippen? Nein! Warum mußte er ausgerechnet jetzt an Dyan Ardais denken? Es war doch nur der junge, stets finster dreinblickende Ruyven Di Asturien. Und nicht Dyan, lange schon tot …
Andere Schattengestalten aus der Vergangenheit stellten sich ein.
Regis fühlte sich leicht benommen und stellte sein Glas ab.
In der großen Halle ließ man die Lichter verlöschen, als der erste Tanz begann. Überall flüsterte man erwartungsvoll; eine ungeheure Spannung lag in der Luft, so als ob etwas halb Verbotenes geschehen sollte. Endlich würden sie alle die Frau tanzen sehen!
Ein Scheinwerfer beleuchtete eine weiße Gestalt. Alles hielt den Atem an – sie würde den Jungferntanz aufführen, den
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