Die Taeuschung
endlich wieder ein bißchen Lebensfreude in das traurige
Dasein von Camille ein! Sie hat dann ein paarmal versucht,
durch vorsichtiges Fragen etwas aus Camille
herauszubekommen, doch da biß sie wohl auf Granit. Aber
genau wie auch ich im letzten Jahr hatte sie den Eindruck, daß
mit Camille eine Veränderung vor sich ging, daß sie ein wenig
fröhlicher und zuversichtlicher wurde. Um Weihnachten herum
traf Isabelle Camille am Strand und ging ein Stück mit ihr
spazieren, und ihr fiel auf, daß sie sehr bedrückt und
unglücklich wirkte. Camille erzählte ihr schließlich das gleiche
wie mir, daß sie einen Mann kennengelernt habe, die
Geschichte aber nun beenden wolle, und daß dieser Mann nicht
so einfach loszuwerden sei. Isabelle ist ein wenig zäher als ich,
sie hakte intensiver nach. Camille muß etwas in der Art gesagt
haben, daß dieser Mann ihr manchmal angst mache, und
Isabelle wollte wissen, wie sie das meine. Es war wohl nicht
ganz einfach herauszufinden, was wirklich los war, wie üblich
wollte Camille nicht recht mit der Sprache heraus.
Isabelle reimte es sich schließlich so zusammen, daß Camille
Angst in dem Sinn gemeint hatte, daß sie fürchte, er ersticke
sie, enge sie ein, erdrücke sie mit Liebe. Isabelle sagt, der
Unbekannte habe ihr in diesem Moment leid getan.
Wahrscheinlich ein ganz normaler Mann, habe sie gedacht, der
Camille ganz normale Avancen macht. Aber scheitern muß an
ihrer komischen Art.«
Jeanne seufzte. »Sie wissen schon, wie sie es meinte.
Camille konnte verschlossener sein als eine Auster. Isabelle
sagte, Camille fühlte sich von einem Mann schon bedrängt,
wenn er ihr Blumen mitbrachte oder sie ins Kino einlud.«
»Hat Isabelle der Polizei davon erzählt?« fragte Monique.
Jeanne schüttelte den Kopf. »Ihr war das alles so harmlos
und nebensächlich vorgekommen, daß sie überhaupt nicht
mehr daran gedacht hat. Zumal diese Liebesgeschichte, oder
was immer es war, dann ja auch recht unspektakulär im Sande
verlief. Erst durch meine Fragen fiel ihr die Angelegenheit
wieder ein.«
Monique hatte auf einmal das Gefühl, daß sie beide bereits
einen entscheidenden Fehler gemacht hatten, weil sie nicht
sofort zur Polizei gegangen waren. Sie konnte sich nicht
erklären, weshalb sie dies mit solcher Gewißheit fühlte; es
mochte ein Instinkt sein, aber selten zuvor hatte ein Gedanke
sie so intensiv bedrängt wie dieser.
»Wissen Sie, Jeanne«, sagte sie, »ich bin überzeugt, daß wir
unser Wissen nicht für uns behalten dürfen. Ich hatte mir
bereits vorgenommen, am Montag zur Polizei zu gehen, und
ich werde das auf jeden Fall tun. Ich überlege sogar, ob ich
morgen schon anrufe. Wenn Camille gesagt hat, sie habe Angst vor diesem Mann, dann kann das auch ganz anders gemeint
gewesen sein, als Isabelle das schließlich interpretiert hat.
Vielleicht war das wirklich ein ganz unangenehmer Typ, und
Camille hatte äußerst realistische Gründe, sich vor ihm zu
fürchten. Immerhin wurde sie ermordet.«
Jeanne zog fröstelnd die Schultern hoch. »Und Sie haben
dem Mann Ihren Namen auf den Anrufbeantworter
gesprochen«, sagte sie, »und gesagt, wo Sie wohnen. Sie
sollten ein bißchen vorsichtig sein in der nächsten Zeit,
Monique. Wenn er es war, dann ist mit ihm jedenfalls nicht zu
spaßen.«
Monique starrte sie an und schob dann ihren Teller zurück,
obwohl der halbe Fisch noch darauf lag.
»Lieber Himmel«, flüsterte sie.
Sie hatte plötzlich keinen Hunger mehr. Ihr war übel. 7
Es war Viertel nach neun, dunkel, eine kalte, sternklare
Oktobernacht. Seit dem späten Nachmittag brannte bei Laura
der Kamin im Wohnzimmer. Es war kuschelig warm im Haus,
gemütlich und anheimelnd. Die Flammen warfen tanzende
Schatten an die Wände.
Wie schwer wird es mir fallen, das hier zu verkaufen, dachte
Laura.
Sie hatte sich ein Brot gemacht und ein Glas Wein
eingeschenkt und setzte sich damit auf ein großes Kissen vor
den Kamin. Zum erstenmal seit Tagen hatte sie das Gefühl, ein
wenig zur Ruhe zu kommen. Nicht zur Entspannung, zum
Durchatmen, dazu war es noch zu früh. Es war eher eine Art
Erschöpfung, die sie umfing, eine tiefe Müdigkeit, die ihr ein
wenig Erleichterung brachte, weil sie ihr die Kraft nahm, das
Gedankenkarussell in ihrem Kopf unentwegt laufen zu lassen.
Sie sehnte sich danach, für eine Weile alles Denken
loszulassen. Vielleicht gelang es ihr, wenigstens für eine halbe
Stunde nur in die Flammen zu starren, ohne andere,
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