Die Taeuschung
sie beide älter waren,
würden sie den Weg zueinander wiederfinden.
Im Augenblick war sie beherrscht vom Haß auf ihn, das
wußte er. Sie verdächtigte ihn sogar des Mordes an Peter, aber
das nahm er keineswegs allzu ernst. In ihrer Verstörtheit
mochte ihr dieser Gedanke gekommen sein, aber wenn sie erst
wieder ein wenig zur Ruhe gekommen wäre, würde ihr die
Abwegigkeit klar werden. Er war kein Killer. Natürlich waren
ihm Mordgedanken gekommen, als er erfuhr, wer der Mann
war, mit dem ihn seine Frau betrog, daß dieser Mann sogar mit
ihr heimlich das Land hatte verlassen wollen.
»Ich bring ihn um«, hatte er schluchzend zu Cathérine gesagt
und beide Fäuste gegen die Augen gepreßt, »ich bring den
verdammten Kerl um!«
Aber wie oft im Leben stieß man diese Drohung aus? Und
auch wenn es sicher einer der emotionalsten, der
erschütterndsten Augenblicke für ihn gewesen war, er hatte nie
ernsthaft an töten gedacht. Nicht einmal einen Abend später,
als er ihn im Gastraum sitzen sah und ihm eine Pizza servieren
mußte. Ein anderer als er hätte ihn vielleicht hinausgebeten,
wäre mit ihm hinters Haus gegangen und hätte ihm wenigstens
ein paar Zähne ausgeschlagen. Aber selbst dieser Gedanke war
ihm nicht gekommen. Er war zu Gewalt nicht fähig.
»Wenn du mich fragst«, hatte Cathérine an jenem
verhängnisvollen Freitag gesagt, an dem Nadines Brief ihr in
die Hände gefallen war, »solltest du sie aus dem Haus jagen.
Und froh sein, wenn sie und ihr sauberer Liebhaber sich nie
wieder blicken lassen.«
Nadine aus dem Haus jagen ... riskieren, daß sie sich
wirklich nie wieder blicken ließe ... Das war so undenkbar, daß
er allein bei diesem Gedanken leise stöhnte. Niemals würde er
es aushallen, ohne sie zu leben.
Ihre Träume waren geplatzt, auf eine denkbar brutale Weise,
aber vielleicht war das gut so, vielleicht hätte sie sich anders
nie wirklich von ihnen verabschiedet.
Sein Honig-Baguette schmeckte so köstlich, wie er es in
Erinnerung hatte. Warm und irgendwie tröstlich. Es war still
und friedlich in der Küche an diesem sonnigen
Sonntagmorgen. Der Kaffee duftete. Henri hatte die Nacht
allein verbracht, Nadine war in eines der beiden
Fremdenzimmer unter dem Dach umgezogen. Das brauchte sie
für einige Zeit, das war klar. Irgendwann würde sie
zurückkehren.
Er lauschte dem Ticken der Uhr, gab sich, noch immer
verwundert, seinem Gefühl von Frieden hin. Die Gefahr war
gebannt. Die Wunden würden heilen, langsam natürlich, das
würde seine Zeit brauchen. Seine Wunden wie auch die von
Nadine. Aber irgendwann ... er war ganz sicher an diesem
Morgen, daß es einen Neubeginn für sie beide geben würde.
Und dann wollte er sie fragen ... schließlich waren sie beide
jung genug ... und am Ende würde es ihr die verlorene Ruhe
zurückgeben ... Er wollte sie fragen, nein, er wollte versuchen,
sie zu überreden, eine richtige Familie mit ihm zu gründen. Ein
Kind zu bekommen. Ein Kind würde ihre Ehe retten und ihr
einen neuen Sinn geben. Sie könnten eine feste Kraft für das
Restaurant einstellen, dann mußte Nadine nie wieder der
verhaßten Tätigkeit des Servierens nachgehen, sondern konnte
sich ganz dem Kind widmen. Wenn sie es verlangte, würde er
sich auch von Cathérine trennen, obwohl diese dann wohl
endgültig den Boden unter den Füßen verlöre. Aber wirklich
schwer fiel ihm der Gedanke an einen Bruch mit ihr nicht, denn
obwohl sie es für ihn getan hatte, war sie ihm als Schnüfflerin
und Denunziantin ein wenig unangenehm geworden.
Langsam trank er seinen Kaffee. Hoffnung breitete sich in
ihm aus, legte sich über sein Gemüt wie ein zarter, heller
Schleier, der allem anderen ringsum die rauhen Konturen der
Wirklichkeit nahm.
2
Laura wählte Christophers Nummer zum zweiten Mal. Neun
Uhr am Sonntag war vielleicht ein wenig früh, aber schließlich
waren sie gute Freunde. Sie hatte das Bedürfnis, sich bei ihm
zu entschuldigen. Er hatte es gut gemeint, hatte ihr helfen
wollen, und sie hatte ihm sehr direkt gesagt, daß sie ihn nicht
bei sich haben wollte. Zwar war er verständnisvoll wie immer
gewesen, aber erst im nachhinein war ihr aufgegangen, was es
mit seiner Bemerkung über das Essen und den Wunsch, von
jemandem erwartet zu werden, auf sich hatte. Er hatte selbst
gehofft, Trost zu finden, aber sie war völlig auf sich und ihre
Probleme fixiert gewesen. Nun hätte sie ihn gern zu einem
Frühstück eingeladen, um ihre abweisende
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