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Die Taeuschung

Die Taeuschung

Titel: Die Taeuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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beschönigen mußte, konnte sie sich eingestehen, daß
Peter genauso schwach gewesen war wie Henri. Genauso
wenig tatkräftig, so wenig entschlossen. Lediglich die völlige
Ausweglosigkeit seiner finanziellen Situation hatte ihn dazu
gebracht, die Flucht mit ihr überhaupt in Erwägung zu ziehen.
Ohne dies, auch das sagte sie sich zum erstenmal in
schonungsloser Offenheit, hätte er nie an eine Trennung von
Laura gedacht, sich nie konsequent für sie, Nadine,
entschieden. So oder so: Sie würde niemals erfahren, ob er
nicht ohnehin am Schluß umgefallen war.
Sie hatte damals auf seine gereizte Frage hin die Brücke als
Treffpunkt vorgeschlagen. »Ich warte dort in meinem Auto auf
dich. Dann steige ich zu dir um.«
»Aber ich kann nicht genau sagen, wann ich da bin.
Keinesfalls vor sieben Uhr. Kann auch halb neun werden. Am
Ende sitzt du da ziemlich lange herum.«
»Das macht nichts. Ich habe so lange auf dich gewartet.
Diese Zeit geht auch noch vorbei.«
Um halb sieben, hatte Henri gesagt, war Peter im Chez
Nadine aufgekreuzt. Zu diesem Zeitpunkt hatte er damit
rechnen müssen, ihr gerade noch zu begegnen, zumindest hatte
er diese Möglichkeit offenbar billigend in Kauf genommen.
Hatte er mit ihr sprechen wollen? Ihr sagen wollen, daß er es
sich anders überlegt hatte? Es hätte zu Peter gepaßt, daß er
versuchte, ein solch unangenehmes Gespräch von einer
einsamen Landstraße in ein Restaurant zu verlegen, an einen
Ort, an dem sie wehrloser war und er eine Chance hatte, keine
Szene zu erleben.
Zumindest, dachte sie und starrte über das eisfarbene Meer,
muß ich mit der Möglichkeit leben, daß es so war.
Sie mußte an jenen Herbst denken, in dem ihre Beziehung
begonnen hatte. Um genau die gleiche Zeit war es gewesen,
vor vier Jahren. Nach jenem Abend in seinem Ferienhaus war
er zum Segeltörn mit Christopher aufgebrochen, und sie hatte
eine Woche lang gezittert, ob er sich jemals wieder bei ihr
melden würde. Schließlich hatte sie ihm gesagt, daß sie nicht
einfach eine Affäre mit ihm haben wollte, sondern eine
wirkliche Beziehung, und möglicherweise scheute er vor
diesem Anspruch zurück.
Aber am Ende der Woche hatte er angerufen und mit rauher
Stimme gesagt: »Ich will dich sehen.«
»Wo bist du?« hatte sie gefragt. Sie war oben in der
Wohnung, Henri unten in der Küche gewesen, dennoch hatte
sie sehr leise gesprochen.
»Im Hafen von Les Lecques. Wir sind zurück.«
»War es schön?« Es hatte sie gar nicht interessiert, ob es
schön gewesen war, aber sie hatte nicht gewußt, was sie sagen
sollte.
»Ich will dich sehen«, hatte er anstelle einer Antwort
wiederholt.
»Wo?«
»Der Weg unterhalb unseres Hauses«, hatte er gesagt, »wenn
du ihn fast bis zum Ende fährst, kommst du an eine alte
Gärtnerei. Sie steht leer, niemand hält sich dort je auf. Kannst
du da hinkommen?«
»Wann?«
»Jetzt gleich«, hatte er gesagt und den Hörer aufgelegt.
Es war ein Samstagabend gewesen, und natürlich hatte sich
Henri darauf verlassen, daß sie ihm half. Sie hatte darauf
verzichtet, noch einmal unter die Dusche zu gehen, hatte eine
weiße Jeans und einen blauen Pullover angezogen und dreimal
über ihre Haare gebürstet. Ein dunkler, kühler Oktoberabend.
Sie nahm ihre Handtasche und huschte die Treppe hinunter,
aber obwohl sie sich alle Mühe gab, leise zu sein, hatte Henri
sie gehört und trat aus der Küche.
»Da bist du ja. Es sitzen erstaunlich viele Leute drüben.
Könntest du gleich die Bestellungen aufnehmen?« Dann fiel
sein Blick auf ihre Handtasche, und er runzelte die Stirn.
»Willst du weg?«
»Meine Mutter hat angerufen. Es geht ihr nicht gut.«
»Mein Gott«, sagte Henri entsetzt, »was mache ich denn
jetzt?«
»Ruf Cathérine an.« Es war das erste Mal, daß sie von sich
aus diesen Vorschlag machte. »Sie wird mit Begeisterung
herbeieilen.«
»Wenn du mich über deine Pläne etwas früher unterrichtet
hättest ...«
»Ich konnte ja nicht ahnen, daß sich meine Mutter plötzlich
nicht wohl fühlen würde. Ciao!« Schon war sie zur Tür hinaus.
Seine Sache, wie er jetzt klarkam. Schon zu diesem Zeitpunkt
hatte sie sich innerlich längst von ihm verabschiedet.
Die Ecke, in der Peters Ferienhaus lag – und das von Laura,
aber für sich nannte sie es nur Peters Ferienbaus –, war Nadine
nicht allzu vertraut; früher hatte es für sie nie einen Grund
gegeben, dorthin zu kommen, und später hatte sie die Gegend
bewußt gemieden. Sie verfuhr sich

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