Die Taeuschung
betäubt. Das Wort schwanger vibrierte in ihrem Gehirn, wurde langsam lauter,
stieg an zu einem Dröhnen. Bis heute erinnerte sie sich, wie
schlecht ihr plötzlich geworden war und wie schwindelig. Und
sie hatte gedacht: Das kann nicht wahr sein. Es ist ein
schlechter, dummer Scherz. Gleich wird er lachen und nach
meiner Hand greifen, auslachen wird er mich, weil ich etwas so
Dummes glauben konnte.
Aber natürlich lachte er nicht, auch griff er nicht nach ihrer
Hand. Er fuhr fort, die Steine ins Wasser zu schießen, und
vermied es, sie anzusehen.
»Wenn man es nicht sehen würde, hättest du es nicht
erwähnt«, sagte sie schließlich mühsam und erinnerte sich
seiner Worte: Ich möchte nicht, daß du erschrickst ... »Wann
wird das ... das Baby kommen?«
»Im Juni.«
»Dann ist sie ...«, sie rechnete rasch nach, »dann ist sie im
sechsten Monat. Dann habt ihr ... dann wurde das ... Baby im
September gezeugt.« Die Übelkeit wurde stärker. Jeden
Moment würde sie ihm vor die Füße kotzen. »Und im Oktober
hast du mit mir eine Woche verbracht! Du hast mir gesagt, du
schläfst nicht mehr mit ihr! Du hast gesagt, du hast seit fast
einem Jahr nicht mehr mit ihr geschlafen! Kannst du mir
erklären, wie dann ein Kind entstehen konnte? Im
Reagenzglas?«
»Natürlich nicht. Es ist eben passiert. Mein Gott, Nadine!«
Den nächsten Stein warf er voller Wut ins Wasser. »Wir ... ich
komme viermal im Jahr hier herunter. Davon ist eine einzige
Woche ganz für uns reserviert. Während der übrigen Zeit
müssen wir uns im geheimen treffen, selten genug und meist
unter größten Schwierigkeiten. Denkst du, ich lebe die ganze
restliche Zeit wie ein Mönch?« Endlich schaute er sie an. »Du
schläfst doch sicher auch mit Henri!«
»Nein!« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Und zwar schon
lange nicht mehr. Ich habe schon vor unserer Beziehung damit
aufgehört. Weil ich wirklich fertig mit ihm bin. Ich könnte gar
nicht mehr mit ihm schlafen. Aber das ist offensichtlich bei dir
ganz anders.«
»Es war eher ein Ausrutscher. Ich hatte getrunken an dem
Abend, und ...«
»Eben hast du gesagt, du lebst nicht wie ein Mönch. Wieso
hattest du mir früher erzählt, du schläfst nicht mehr mit ihr?«
Er wurde immer wütender, sie konnte spüren, daß er jeden
Moment losbrüllen würde. Situationen wie diese haßte er;
schlimmer: er haßte sie in solchen Momenten. Unerträgliches
Quengeln nannte er es, wenn sie traurig oder eifersüchtig war,
ihm Vorhaltungen machte oder irgendwelche Zusagen erhalten
wollte. Er hätte erwartet, daß sie eine Nachricht wie die von
der Schwangerschaft seiner Frau ohne größere Kommentare
hinnahm, vielleicht später daheim in der Abgeschiedenheit
ihres Zimmers einen Tobsuchtsanfall bekam, ihn jedoch
unbehelligt ließ. Er wollte eine Beziehung. Er wollte keinen
Streß.
Aber, dachte sie hilflos, woher soll ich die Kraft nehmen,
einen solchen Schmerz mit mir allein auszumachen?
»Ich sage solche Dinge, um mir dein Genörgel vom Hals zu
halten«, antwortete er nun zornig auf ihre Frage. »Du bohrst so
lange herum, drängst mich, daß ich dir schwöre und versichere
und ich-weiß-nicht-was-noch-alles, daß ich nicht mehr mit ihr
schlafe, bis ich dir sage, was du hören willst, einfach, damit du
endlich still bist. Du kannst so entsetzlich anstrengend sein!
Immer geht es nur um dich, dich, dich! Vielleicht könntest du
zwischendurch auch einmal an mich und meine Probleme
denken!«
Sie fragte sich, wie er reagiert hätte, wenn sie ihm erzählt
hätte, sie sei schwanger. Aber vermutlich hätte er zunächst nur
Panik gehabt, das Kind könnte von ihm sein, und als nächstes
hätte er sich überlegt, daß sie nun womöglich als jederzeit
verfügbare Geliebte für eine Weile ausfiel. Was er als höchst
ärgerlich empfunden hätte.
Oder dachte sie da zu schlecht von ihm?
»Es ist ja nicht meine Schuld, daß wir so wenig Zeit
füreinander haben«, sagte sie, »ich dränge seit eineinhalb
Jahren auf eine Entscheidung. Ich finde die Situation
entsetzlich. Unerträglich. Und nun auch noch das ...« Ihre
Stimme brach, sie biß sich auf die Unterlippe. Sie durfte nicht
in Tränen ausbrechen. Die wenigen Male, da sie zu weinen
begonnen hatte, war Peter wutentbrannt davongerauscht und
hatte sie einfach stehen lassen. So weit sollte es nicht wieder
kommen.
»Ich habe dir erklärt, weshalb ich mich jetzt nicht scheiden
lassen kann. Ich dachte, das hättest du
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