Die Taeuschung
wollte, hob er schließlich, nach einigem Zögern, den Hörer ab
und wählte die Nummer. Sein Herz hämmerte, während er
darauf wartete, daß sie sich meldete.
Lieber Gott, laß sie zu Hause sein. Ich muß mit ihr sprechen.
Ich muß mich vergewissern, daß es sie noch gibt. Daß sie für
mich da ist, daß sie mich mag, daß sie mich lieben wird eines
Tages ...
Es dauerte so lange, daß er schon glaubte, sie sei nicht
daheim, und die Enttäuschung löste einen so heftigen Schmerz
in ihm aus, daß er meinte, ihn nicht ertragen zu können.
Er wollte schon aufgeben, da wurde endlich der Hörer
abgenommen.
»Ja?« fragte sie atemlos.
Sie hatte die schönste Stimme der Welt, süß, melodisch,
weich und voll zauberhafter Versprechungen. Die
Erleichterung überschwemmte ihn, er merkte, wie heftig sein
Verlangen nach ihr war und wie sehr er sich schon eins mit ihr
fühlte.
»Oh – du bist ja doch da, Laura«, sagte er hölzern, und es
paßte gar nicht zu dem, was er fühlte, »ich dachte schon ... nun,
egal. Hier ist Christopher. Hättest du Lust, heute abend mit mir
essen zu gehen?«
Montag, 15. Oktober
1
»Ich kann Ihnen«, sagte Henri, »leider nicht wirklich
weiterhelfen. Meine Frau und ich sind entsetzt und erschüttert
über den Tod eines langjährigen Freundes, aber wir haben nicht
die geringste Ahnung, was passiert sein kann.«
»Hm«, machte der Kommissar. Er wirkte unzufrieden;
zudem hatte Henri das beunruhigende Gefühl, daß er ihm seine
völlige Unwissenheit nicht wirklich abnahm. Er merkte selbst,
wie auswendig gelernt und unecht es geklungen hatte, aber
konnte das nicht auch eine normale Reaktion sein auf das
schockierende Ausmaß von Gewalt, mit dem sie alle plötzlich
konfrontiert worden waren?
Es war halb neun am Montagmorgen, und als er die
Fensterläden vorn im Restaurant aufgestoßen hatte, war ihm
sofort der graue Wagen mit den zwei Männern darin
aufgefallen, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite
parkte.
Sie waren ausgestiegen, kaum daß sie seiner ansichtig
wurden, und auf ihn zugekommen, und es war ihm nichts
übriggeblieben, als ihnen die Tür zu öffnen.
Sie stellten sich als Kommissar Bertin und sein Mitarbeiter
Duchemin vor und sagten, sie hätten gern einige Fragen an ihn
gerichtet. Er bat sie in die Küche, schenkte ihnen Kaffee ein,
den sie dankbar zu sich nahmen. Zuerst hatten sie sich nach
Nadine erkundigt.
»Es wäre uns lieb, wenn Ihre Frau an diesem Gespräch
teilnehmen könnte.«
Er mußte erklären, daß seine Frau leider nicht daheim war.
»Hat sie schon so früh am Morgen das Haus verlassen?«
erkundigte sich Bertin mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Sie hat gar nicht hier geschlafen die letzte Nacht. Sie ist bei
ihrer Mutter. Dort ist sie öfter.« Es kam Henri vor, als spräche
er ein wenig zu hastig. »Ihrer Mutter geht es gesundheitlich
nicht gut«, fügte er erklärend hinzu.
Wie er erwartet hatte, wußten sie von Laura, daß Peter
Simon am vorletzten Samstag im Chez Nadine gegessen hatte.
Sie wollten alles über ihn erfahren, was er geredet hatte, wie er
sich verhalten hatte, ob irgend etwas an ihm auffällig gewesen
sei, aber Henri sagte, was er auch Laura gesagt hatte: daß Peter
müde und still gewirkt habe, was aber nach der langen
Autofahrt nicht verwunderlich gewesen sei. Daß er seine Pizza
kaum zur Hälfte gegessen habe und nach etwa einer Stunde
gegangen sei. Daß sie fast kein Wort miteinander gewechselt
hatten.
»Sie waren Freunde«, sagte Bertin, »und Sie hatten einander
sicher längere Zeit nicht gesehen. Wäre es da nicht normal
gewesen, sich ein bißchen zu unterhalten?«
»Sicher«, sagte Henri, »aber ich mußte arbeiten. Das Lokal
war voll, und meine Frau war wieder einmal urplötzlich
ausgefallen, weil sie zu ihrer Mutter mußte. Ich war allein und
jagte zwischen Küche und Gastraum hin und her, und die Leute
beschwerten sich schon, weil alles zu lang dauerte. Ich konnte
mich nicht um Peter kümmern.«
»Wußten Sie, weshalb er an die Côte gekommen war?«
»Natürlich. Er kam jedes Jahr in der ersten oder zweiten
Oktoberwoche. Er segelte dann immer mit einem Freund.«
»Und er erwähnte nichts davon, daß er diesmal etwas
anderes vorhabe?«
Henri merkte, daß ein Nerv an seiner rechten Schläfe zu
zucken begann. Hoffentlich sahen die beiden Männer das nicht.
Was wußte Bertin? Wußte er, daß Peter Simon sehr wohl etwas
anderes vorgehabt hatte? Daß er mit Nadine hatte
durchbrennen,
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