Die Taeuschung
ein Beschuldigter im
Verhör fühlte. Weshalb er so genau darauf achtete, sich richtig
zu verhalten. Weshalb er Angst hatte, und weshalb seine
Nerven zuckten. Er hatte nichts verbrochen. Er hatte mit Peter
Simons Tod nichts zu tun. Aber darum ging es wohl auch gar
nicht. Er hatte einfach Angst, diese beiden Männer da vor ihm
mit den kühlen, intelligenten Gesichtern könnten herausfinden,
welch ein gehörnter Schlappschwanz er war, einer, der
jahrelang damit lebte, von seiner Frau betrogen zu werden, und
der am gemeinsamen Leben und an der Hoffnung auf eine
glückliche Zukunft sogar dann noch festhielt, als er von ihrem
Plan, ihn für immer zu verlassen, erfahren hatte. Ganz flüchtig
fragte er sich, was Bertin in einer Situation wie der seinen
getan hätte. Die Alte zum Teufel gejagt? Aber vermutlich
würde er in eine solche Lage gar nicht erst geraten.
Er sah nicht aus wie einer, der sich von der eigenen Frau auf
der Nase herumtanzen ließ.
»Ich glaube nicht«, bemühte er sich auf Berlins Frage zu
antworten, »daß es in unserem Fall eine spezielle Aufteilung
gab ... Wir mochten einander alle vier. Ab und zu unternahmen
wir etwas gemeinsam, aber eher selten, denn wie gesagt: Wenn
die Simons Urlaub hatten, hatten wir Hochsaison in der
Pizzeria. Und ganz offensichtlich wußten wir nicht viel
voneinander. Ich bin sicher, auch meine Frau hatte keine
Ahnung von Peter Simons finanziellen Problemen.«
»Tauschte sich Ihre Frau vielleicht manchmal intensiver mit
Laura Simon aus?«
»Ich glaube nicht, nein.«
Und dann sagte er den Satz von seinem und Nadines
Entsetzen über den Tod eines langjährigen Freundes, und daß
sie keine Ahnung hatten, was passiert sein könnte, und er hatte
den Eindruck, mit irgend etwas das Mißtrauen des Kommissars
geweckt zu haben.
Die beiden Männer standen auf, und zum erstenmal ergriff
Duchemin das Wort. »Wir würden gern auch noch einmal mit
Ihrer Frau sprechen. Wann wäre das möglich?«
»Ich weiß nicht genau, wann sie heute zurückkommt ...
Vielleicht bleibt sie eine zweite Nacht bei ihrer Mutter. Wir
haben heute Ruhetag, und ...« Duchemin reichte ihm seine
Karte. »Sie soll mich anrufen. Ich vereinbare dann einen
Termin mit ihr.«
»In Ordnung.«
Er begleitete die Männer zur Tür. Der Morgen war strahlend
schön wie seine Vorgänger, aber noch kälter. Er überlegte, ob
er Cathérine anrufen und sie zum Mittagessen einladen sollte.
In der letzten Zeit hatte er sich immer nur bei ihr gemeldet,
wenn er sie brauchte, und sehr nett war er oft auch nicht zu ihr
gewesen. Er könnte einmal etwas richtig Schönes für sie
kochen und ihr über einen langen, einsamen Tag hinweghelfen.
Unwahrscheinlich, daß Nadine vor morgen mittag zurückkäme.
2
»Ich dachte gleich, daß mir der Name irgendwie bekannt
vorkam«, sagte Marie. »Peter Simon! Natürlich. Eure Freunde
aus Deutschland. Du hattest sie ein paarmal erwähnt.«
»Es war ein Schock«, sagte Nadine.
Sie saß ihrer Mutter gegenüber an dem hölzernen
Küchentisch, an ihrem alten Platz, den sie in ihrer Kindheit
besetzt hatte. Die Kante war an dieser Stelle voller Kerben und
Kritzeleien, tausend Mal hatte sie ihre Wut, ihre Frustration,
ihre Hilflosigkeit mit Messern in das Holz geschnitten oder ihr
in gemalten Zacken und Blitzen Ausdruck verliehen. Heute, als
erwachsene Frau, fühlte sie nicht anders, hätte am liebsten ihre
Fingernägel am Tisch gewetzt. Was ihr zeigte, daß sie keinen
Schritt weitergekommen war seit damals. Sie saß in derselben
Falle wie einst, und noch immer hatte sie keine Ahnung, wie
sie sich befreien sollte.
Ein Blick hinauf aus der Schlucht hatte ihr das leuchtende
Blau des Himmels offenbart und verraten, daß der Tag sonnig
und wolkenlos war, aber in dieser Jahreszeit schaffte es die
Sonne zu keinem Moment des Tages, in das schmale Tal
zwischen den Felsen vorzudringen. Sie mußten das elektrische
Licht brennen lassen und würden es bis zum Abend nicht
ausschalten.
»Das kann ich mir vorstellen!« Marie zog schaudernd die
Schultern zusammen. »Jemanden persönlich zu kennen, der so
grausam ermordet wird ... Wie entsetzlich! Hast du eine Idee,
was da passiert sein kann?«
»Nein. Das hätte ich längst der Polizei gesagt.«
Marie nickte, dann warf sie einen diskreten Blick auf die
Küchenuhr. Es war zehn Minuten nach neun Uhr. Sie seufzte.
Sie fand es durchaus spannend, daß ein enger Bekannter ihrer
Tochter Opfer eines Mordes geworden war,
Weitere Kostenlose Bücher