Die Taeuschung
Überzeugung hätte ein Mann niemals einen Anruf
getätigt, wie sie es getan hatte, bei einem potentiellen Mörder,
unter Hinterlassung von Namen und Telefonnummer. Über
eine derartige Naivität konnte nur eine Frau verfügen.
Er hatte sie in die Wohnung gedrängt und die Tür
geschlossen. Er hatte ein Messer dabei, aber er hatte es nicht
zeigen müssen, sie leistete nicht den geringsten Widerstand,
schrie auch nicht, sondern starrte ihn nur aus
schreckgeweiteten Augen an.
»Sie wollten mich sprechen?« hatte er gefragt und gleich
darauf in ihren Zügen lesen können, daß sie begriff, worauf er
anspielte, und daß sie Angst bekam. Er hatte vorsichtshalber
die Hand in die Tasche seiner Sweatjacke geschoben, um rasch
an das Messer zu gelangen, falls sie nun doch zu schreien
begann, aber offenbar war sie dazu nicht in der Lage. Sie
glotzte nur, und hinter ihrer Stirn schienen hundert Gedanken
zu jagen.
Draußen auf dem Flur hörte er jemanden vorbeigehen. Sie
standen viel zu dicht an der Tür, und daher schob er Monique
rückwärts bis ins Wohnzimmer; genaugenommen mußte er sie
nicht schieben, sondern sich nur langsam auf sie zu bewegen,
und schon wich sie von selbst zurück. Im Wohnzimmer
vergewisserte er sich rasch, daß alle Fenster geschlossen
waren, dann forderte er Monique auf, sich zu setzen, was sie
sofort tat. Zum Glück hatte sie wirklich echte Angst vor ihm
und würde voraussichtlich keinerlei Schwierigkeiten machen.
Er selbst blieb stehen, weil ihm dies ein Gefühl der
Überlegenheit gab, denn er fühlte sich in Wahrheit zutiefst
unsicher. Er hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Sein
einziger Gedanke die ganze Zeit über war gewesen: Ich muß
sie ausschalten. Ich muß diese Gefahr irgendwie unschädlich
machen. Nun hatte er die Gefahr vor sich und wußte nicht, wie
er mit ihr verfahren sollte.
»Woher haben Sie meine Telefonnummer?« fragte er. »Ich
meine, die Handy-Nummer?«
Sie zögerte etwas zu lange. Sie würde ihm nicht die
Wahrheit sagen.
»Von Madame Raymond«, sagte sie.
Er lächelte verächtlich. »Madame Raymond hätte niemals
meine Nummer ihrer Putzfrau gegeben!« Das Wort Putzfrau
spuckte er geradezu aus. Er merkte, wie er ein Stück Sicherheit
zurückgewann. Er mußte sich nur klarmachen, daß sie wirklich
nichts anderes war als eine Hausangestellte, nichts Besonderes,
schon gar keine Geistesgröße. Zudem fand er sie alles andere
als attraktiv, sie hatte für seinen Geschmack zu dicke
Oberschenkel und ein ziemlich rundes Gesicht. Sie war absolut
nicht sein Typ.
»Sie hat mir aber die Nummer gegeben«, beharrte Monique.
Woher hatte sie sie wirklich? Es gab zwei Möglichkeiten:
Entweder sie hatte hin und wieder in Camilles Schubladen
geschnüffelt, die Nummer dabei entdeckt und wollte dies nun
nicht zugeben, weil es ihr peinlich war. Oder es gab einen
Informanten, den sie zu decken versuchte. Aber wer, verflucht,
konnte das sein? Camille hatte keine guten Bekannten oder
Freunde gehabt. Und selbst wenn – welchen Sinn hätte es
gemacht, irgend jemandem seine Handy-Nummer zu geben?
Im Lauf des Nachmittages fragte er noch einige Male nach,
aber sie blieb bei ihrer völlig unglaubwürdigen Version, und
langsam merkte er, wie er wütend auf sie wurde. Hätte sie noch
geschickt gelogen, wäre es etwas anderes gewesen, aber so
wurde sie zu einer Beleidigung für seine Intelligenz, und ihre
Hartnäckigkeit machte ihn aggressiv. Das war gut so. Er hatte
Menschen getötet, aber er war keineswegs in der Lage, einfach
jeden zu töten. Seine Opfer hatten es verdient, es war geradezu
zwingend notwendig gewesen, sie zu vernichten, weil sie es
waren, die dafür sorgten, daß die Welt immer schlechter, kälter
und unerträglicher wurde.
Monique Lafond zählte nicht zu diesen wertlosen Kreaturen,
zumindest nicht, daß er es gewußt hätte. Aber sie hatte sich
eingemischt, und nun versuchte sie ihn für dumm zu verkaufen,
und wenn sie es noch ein bißchen weiter trieb, würde er zu dem
Schluß gelangen, daß sie ebenfalls bestraft gehörte. Dies würde
die Dinge wesentlich erleichtern.
Irgendwann – sie saß immer noch in sich
zusammengesunken auf dem Sofa, er stand noch immer groß
und drohend vor ihr – sagte er: »Ich werde dich schlagen. Ich
werde dich so lange schlagen, bis du die Wahrheit sagst.«
Sie blinzelte nervös und fragte dann mit ängstlicher Stimme,
ob sie auf die Toilette gehen dürfe.
»Nein«, sagte er und stellte zufrieden
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