Die Taeuschung
argumentieren, sich mit seinen Widerworten
auseinanderzusetzen. Was sie gesagt hatte, stimmte: daß ihre
Selbstfindung wichtig war und ihre Unabhängigkeit, daß sie
sich so rasch nicht binden konnte und Zeit für sich brauchte.
Aber das Wesentlichere und Entscheidende war, daß sie
Christopher nicht liebte. Nie lieben würde, und daß deshalb
weitere Gespräche überflüssig waren.
Sie lehnte sich zurück, atmete tief durch, befreit von einer
schweren Last, und hob endlich den Blick.
Er war – und das hätte sie eigentlich für unmöglich gehalten
– noch blasser geworden. Es war die Farbe von Kalk, die sein
Gesicht überzogen hatte. Er schwitzte stark, und seine Hände
zitterten. Er hielt sich an seinem Wasserglas fest, jeden
Moment würde es zwischen seinen bebenden Fingern
zersplittern.
»Mein Gott«, sagte sie leise, »du mußt es doch gewußt
haben.«
»Darf ich dich etwas fragen?« Seine Stimme klang,
verglichen mit seinem Aussehen, erstaunlich fest und sachlich.
»Weshalb hast du dich mir hingegeben? Vorgestern abend?«
Unter anderen Umständen hätte sie gekichert über die
altmodische Formulierung, aber in diesem Fall war Heiterkeit
natürlich nicht angebracht. Besser war es zudem, nicht die
Wahrheit zu sagen; sie hatte Christopher für eine späte Rache
an ihrem Ehemann und damit als Therapie für ihre enttäuschte
und gedemütigte Seele benutzt, und das durfte er keinesfalls
wissen.
»Begehren«, sagte sie, »Sehnsucht nach Nähe und Wärme.
Du mußt das doch kennen. Jeder hat schon mal aus allein
diesen Gründen mit jemandem geschlafen.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich nicht. Ich habe es immer nur
aus Liebe getan. Und immer nur, weil ich eine Bindung und
eine gemeinsame Zukunft wollte.«
Sie hob hilflos die Schultern. »Es tut mir sehr leid. Hätte ich
gewußt, daß du so viel mehr darin siehst, hätte ich das nicht
getan. Ich habe es einfach zu spät begriffen.«
Die mißgelaunte Kellnerin trat an ihren Tisch.
»Stimmt was nicht mit der Suppe? Sie essen ja gar nichts.«
Christopher schrak zusammen, so als habe er völlig
vergessen, daß sich noch andere Menschen auf der Welt
befanden. Er sah das Mädchen fassungslos an. Laura schob die
Teller zur Seite. »Es ist alles in Ordnung«, sagte sie, »wir
haben nur zu spät festgestellt, daß wir keinen Hunger haben.«
Das Mädchen trug die Teller beleidigt in die Küche zurück.
Christopher strich seine Haare aus der Stirn. Der Haaransatz
war klatschnaß.
»Du hast mein Leben zerstört«, murmelte er. »Meine
Zukunft. Meine Hoffnung. Alles zerstört.«
Sie spürte Ärger in sich keimen. Zu keinem Moment war sie
für sein Leben, seine Zukunft, seine Hoffnung verantwortlich
gewesen. Sie hatte den Fehler gemacht, mit ihm zu schlafen,
aber daraus konnte er keine Verpflichtung für sie ableiten, ihn
zu heiraten.
Gott sei Dank, daß ich morgen abreisen kann, dachte sie,
hütete sich jedoch, dies laut zu sagen.
Er sah sie sehr eindringlich an. Seine Augen schienen in die
ihren eintauchen zu wollen.
Er ist schon wieder zu nah!
»Wäre es möglich«, fragte er, und er sprach dabei jedes
einzelne Wort sehr sorgfältig und betont aus, »daß du es dir
noch anders überlegst? Daß du jetzt verwirrt und überwältigt
bist, und deshalb Dinge sagst, die ... nun, die irgendwann ganz
anders aussehen?«
Sie schüttelte den Kopf. Inzwischen wollte sie ihm nur noch
entkommen. Sie wollte ihm nichts Verbindliches, Tröstendes
mehr sagen, wollte ihm keine vage Hoffnung geben, um die
Härte des Augenblickes zu mildern. Sie wollte weg, und am
liebsten wollte sie ihn nie wiedersehen.
»Nein. Ich bin weder verwirrt noch überwältigt. Ich habe dir
gesagt, was zu sagen ist. Es wird sich nichts ändern.« Sie schob
ihren Stuhl ein Stück zurück, um anzudeuten, daß sie das
Treffen als beendet ansah.
Sein Blick kam ihr jetzt sehr eigentümlich vor, ohne daß sie
genau hätte sagen können, worin das Sonderbare bestand.
Irgendwie schien er nicht einfach nur traurig, zerstört,
enttäuscht. Fast meinte sie Mitleid in seinen Zügen zu
entdecken – Mitleid mit ihr?
Und wenn schon. Wenn er meint, ich sei zu bedauern, weil
ich die Ehre, seine hau zu werden, ausgeschlagen habe, dann
soll er das ruhig denken. Meinetwegen kann er eine Kerze für
mich anzünden. Hauptsache, ich bin heil aus diesem
Schlamassel herausgekommen!
Sie kramte ihren Geldbeutel hervor, suchte ein paar Scheine
zusammen und legte sie auf den Tisch. Sie stand auf.
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