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Die Taeuschung

Die Taeuschung

Titel: Die Taeuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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nicht wieder aufgetaucht, obwohl inzwischen fast
vierundzwanzig Stunden vergangen waren. Zumindest hatte sie
nichts davon bemerkt.
    Und wenn er dort draußen im Gang auf der Lauer lag? Wenn
er nur darauf wartete, daß sie herauskam?
Er konnte es abwarten. Er wußte, Hunger und Durst würden
sie irgendwann zwingen, etwas zu unternehmen. Schon jetzt
konnte sie zeitweise an nichts anderes denken als an die
Pfirsichgläser ein paar Räume weiter. Unwahrscheinlich, daß
er sie noch fortgebracht hatte. Wenn es ihr gelänge,
hinüberzuhuschen, etwas zu trinken ...
Aber falls er doch dort im dunklen Gang stand? Sie konnte
es nur herausfinden, wenn sie losginge, und dann konnte es
auch schon zu spät sein. Sie saß in der Falle. Hoffnungslos und
fatal.
4
    Er war so bleich, daß sie beinahe Angst um ihn bekam. Seine
Lippen waren grau, und ein ungesunder Schweißfilm bedeckte
seine Haut. Sie hoffte, daß es nicht nur mit ihr zusammenhing,
sondern auch mit seinem Fuß zu tun hatte. Er war gehumpelt,
als er vorhin auf dem Parkplatz aus dem Auto gestiegen war,
und dann hatte sie auch den dicken Verband gesehen. Schon da
war er blaß gewesen, aber nicht so blutleer wie jetzt in dem
Restaurant, als er mit ihr an einem Tisch saß und sie ihm
erklärte, daß eine gemeinsame Zukunft für sie nicht vorstellbar
sei.
    »Was hast du denn mit deinem Fuß gemacht?« hatte sie als
erstes gefragt, froh, ein Thema zu haben und ihm nicht
verlegen schweigend im Regen gegenüberzustehen. Das Meer
schwappte grau und träge gegen die Hafenmauer, ein einsamer
Spaziergänger in Ölhaut und Gummistiefeln stapfte vorüber.
Die Wolken schienen sich immer tiefer über das Land zu
senken, und der Regen, der am frühen Morgen eher ein
nebelartiges Geniesel gewesen war, strömte jetzt kraftvoll und
gleichmäßig herab. Laura hatte einen Schirm, und da
Christopher keinen hatte, mußte sie ihn zwangsläufig mit unter
ihren nehmen und ihn dadurch viel dichter an sich heranlassen,
als sie eigentlich wollte.
    »Ich bin barfuß in eine Glasscherbe getreten«, erklärte er,
»und muß mich an einer ganz blöden Stelle geschnitten haben.
Es wollte gar nicht aufhören zu bluten.«
»Tut es weh?«
    »Es geht. Jetzt ist es sowieso nicht mehr schlimm.« Er nahm
ihren Arm, drückte ihn. »Denn jetzt bist du ja bei mir.«
Selten hatte sie ein so starkes Bedürfnis gespürt, einfach
davonzulaufen.
Sie landeten in einem kleinen Bistro, in dem außer ihnen nur
noch zwei alte Damen saßen, die einen Schnaps nach dem
anderen kippten und lautstark über das schlechte Wetter
klagten. Ein übellauniges junges Mädchen gammelte hinter der
Theke herum und empfand es ganz offensichtlich als
Zumutung, an einem Tag wie diesem auch noch arbeiten zu
müssen.
Laura und Christopher bestellten ihr Essen, wobei
Christopher abwartete, was Laura wählte, und sich ihr dann
anschloß. Für gewöhnlich trank Laura mittags noch keinen
Alkohol, aber es erschien ihr erlaubt, in einer solchen Situation
eine Ausnahme zu machen, und so entschied sie sich für einen
Viertelliter Weißwein. Hierbei folgte Christopher ihr nicht; er
hielt sich an Mineralwasser.
Sie redeten über dies und das, und Christopher wurde immer
unruhiger; schließlich begriff Laura, daß es an ihr war, das
entscheidende Thema anzuschneiden, daß er es nicht
fertigbringen würde, von sich aus darüber zu sprechen.
So einfühlsam und schonend sie nur konnte, erklärte sie ihm,
daß es keine Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft gab.
Als sie fertig war, hatte er den letzten Rest Farbe im Gesicht
verloren und sah aus, als werde er jeden Moment in Ohnmacht
fallen.
»Vielleicht solltest du einen Schnaps bestellen«, meinte
Laura besorgt, aber er ignorierte ihre Worte und fragte:
»Warum? Warum nur?«
Sie wußte, daß er nicht den Schnaps meinte.
»Das habe ich doch erklärt.« Sie hatte ihm alle ihre Gründe
auseinandergesetzt, jedoch schon damit gerechnet, daß er
nachfragen würde.
»Es ist alles zu schnell gegangen. Ich bin mir über meine
Zukunft einfach nicht im klaren. Im Moment kann ich mir
überhaupt nicht vorstellen, jemals wieder eine Beziehung zu
einem Mann einzugehen.«
»Aber ...«
»Ich habe mich in den Jahren meiner Ehe mit Peter völlig
aus den Augen verloren. Ich habe sein Leben gelebt, nicht
einen Moment lang mein eigenes. Ich muß erst wieder
herausfinden, wer ich bin, was ich möchte, wie ich mir mein
Leben vorstelle. Wie soll ich mich an jemanden binden,

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