Die Taeuschung
verbarrikadiert hielt. Zum Glück hatte der Keller nirgendwo
Fenster, sie konnte also nur hier oben heraus, und da hatte er
den Schlüssel dreimal herumgedreht. Das wirklich Ärgerliche
war, daß er nicht mehr ohne weiteres in seinen Keller konnte,
denn er mußte damit rechnen, daß sie, mit einer Metallstange
oder etwas Ähnlichem bewaffnet, hinter einer Ecke auf ihn
lauerte. Sie konnte dort unten jetzt Nahrung und Wasser
finden; neben dem Raum mit den Einmachgläsern, in dem sie
gesteckt hatte, gab es einen richtigen Vorratsraum mit
Nudelpaketen und Fertigsoßen – denn davon ernährte er sich
hauptsächlich – und einer Tiefkühltruhe. Zum größten Teil
nützten ihr die Dinge allerdings nichts, weil sie sie nicht
backen, kochen oder grillen konnte, aber sie würde auch
Kästen mit Mineralwasser und Cola vorfinden. Nicht zu
vergessen seinen Weinkeller. Wahrscheinlich ließ es sich die
Schlampe richtig gut gehen. Falls sie sich aus ihrem Versteck
herauswagte.
Er hatte nach unten gelauscht, jedoch keinen Laut
vernommen. Er mußte das Problem natürlich lösen, und wenn
er Giftgas in den Keller pumpte, aber er würde sich ein wenig
später damit beschäftigen. Es gab Vordringlicheres.
Die Angelegenheit belastete ihn enorm, und anderthalb
Stunden verbrachte er nur damit, in seinem Haus
herumzulaufen, die Treppen hinauf und hinunter, in alle
Räume, außer in den Keller. In seinem Fuß pochte der Schmerz
immer heftiger, aber in seiner Erregung empfand er ihn als
etwas, das nicht wirklich zu ihm gehörte. In den ehemaligen
Kinderzimmern, in denen er nie etwas verändert hatte seit
jenem furchtbaren Tag, schossen ihm die Tränen in die Augen.
Wieviel Leben, wieviel Wärme hätte die kleine Sophie hier
wieder hereingetragen. Welch eine wunderbare Kindheit hätte
er ihr bereitet! Eines Tages konnte sie sich bei ihrer Mutter
dafür bedanken, vaterlos und ohne Familie aufgewachsen zu
sein. Er blieb stehen, weil ihm einfiel, daß sie sich bei ihrer
Mutter vermutlich für gar nichts mehr würde Bedanken
können, und wieder überkam ihn die Verzweiflung, weil ihn
selbst graute vor dem, was er würde tun müssen, und weil er
doch wußte, daß es keinen anderen Ausweg gab. Sie selbst
hatte ihm keinen gelassen.
Irgendwann fand er sich tränenüberströmt auf dem Rand
seiner Badewanne im ersten Stock wieder, immer der gleiche
Kampf, immer wieder dieses Ringen, dieses Suchen nach einer
anderen Lösung, und immer wieder das scheitern, weil er am
Ende kapitulierte und tat, was er tun mußte. Gegen vier Uhr
hatte er es nicht mehr ausgehalten, hatte noch einmal die
Kellertür überprüft – wenn sie nur endlich krepierte dort unten!
– und war mit dem Auto zum Quartier Colette
hinübergefahren, hatte den Wagen am Fuß des Weges stehen
gelassen, der zu ihrem Haus hinaufführte, und war bis zur
letzten Biegung gelaufen. Von dort konnte er das Haus sehen,
und er merkte, wie er sich förmlich festsaugte daran, wie tief
ihn der Gedanke an die Frau erfüllte, die dort jetzt im
Wohnzimmer am Kamin saß oder die Küche aufräumte oder
vielleicht auf dem Bett lag und über ihr Leben nachdachte. Er
empfand Liebe für sie, aber auch Verachtung, denn sie war
nicht besser als alle anderen, und aus Erfahrung wußte er, daß
die Verachtung langsam, Stunde um Stunde, in Haß
umschlagen würde, und daß der Haß irgendwann unerbittlich
und durch nichts mehr zu besänftigen sein würde. Ende der
Woche. Fast war er sicher, daß es an Ende dieser Woche
geschehen würde.
Damit begannen dann das Frieren und die Kopfschmerzen,
und seine Beine wurden weich, die Stimmen sprachen mit ihm,
und er wußte, daß er wieder an jenem Punkt angelangt war, an
dem er sein Leben als Scherbenhaufen empfand und keine
Hoffnung sah.
Wie seltsam, dachte er, daß es immer wieder mir passiert, als
ob ein unausweichliches, sehr düsteres Schicksal über mir liegt.
Er versuchte herauszufinden, ob die Stimmen etwas dazu
sagten, ob sie eine Antwort gaben, aber noch immer konnte er
sie nicht verstehen.
Wenige Minuten nach halb fünf bewegte er sich näher auf
das Haus zu, schleppend jetzt, weil die Schmerzen in seinem
Fuß explodierten. Es hatte zu regnen aufgehört, aber es ging
kein Wind, und so konnte die dichte Wolkendecke nicht
aufreißen.
Der schöne Spätsommer war endgültig vorüber.
Wie traurig, dachte er, und wie passend.
Erst als er nur noch hundert Meter vom Haus entfernt war,
entdeckte er den
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