Die Taeuschung
auch nie etwas getan hatten, die
Begegnungen, die so schrecklich waren und so unverzichtbar,
zu verhindern.
»Ist es nicht nett mit den Simons?« fragte Henri einmal, und
Nadine wandte sich ab, damit er ihr Gesicht nicht sah, von dem
sie meinte, es müsse alles ausdrücken, was sie empfand.
Peter und Laura kamen regelmäßig über Weihnachten, an
Ostern und im Sommer in die Provence. Peter erschien dann im
Oktober noch einmal zum Segeln, aber da war er die ganze Zeit
über mit seinem Freund zusammen und trat im Chez Nadine nicht in Erscheinung. In den Wochen und Monaten dazwischen
wurde Nadine immer ein wenig ruhiger. Sie mußte ihn nicht
ständig sehen und bemühte sich, sein Bild verblassen zu lassen,
ihm möglichst wenig Gedanken zu widmen. Aber zugleich
wuchs der dumpfe Verzweiflungsdruck in ihr, denn sie wartete
noch immer auf den Mann, der sie aus dem Chez Nadine und
dem Leben an Henris Seite erlöste, aber sie war so gefangen in
ihrer Sehnsucht nach Peter, daß sie keinen anderen Mann mehr
wahrnehmen konnte. Und Peter würde niemals mit ihr
fortgehen. Manchmal fühlte sie sich wie ein eingesperrtes Tier,
das im Kreis herumläuft und weiß, daß es sein Gefängnis nie
verlassen wird.
Zwei Jahre nach der ersten Begegnung und etwa fünf
Monate, nachdem das Haus gekauft worden war, rief Laura
Ende September an und sagte, Peter werde zum Segeln mit
seinem Freund Christopher nach St. Cyr kommen. Er werde
diesmal aber nicht gleich in See stechen wie sonst, sondern
zwei Nächte im Haus verbringen und dort nach dem Rechten
sehen. Die Frau, die das Anwesen wartete, sei krank geworden,
und ob Nadine so nett sein könne, sich bei ihr den Schlüssel zu
holen und ausnahmsweise ein paar Dinge dort zu erledigen:
lüften, ein bißchen Staub wischen, Kaffee und Milch kaufen.
Nadine ließ sich darauf ein. Sie tat, was ihr aufgetragen war,
und die ganze Zeit über wuchs die Unruhe in ihr ins Uferlose.
Zum erstenmal kam er ohne sie.
Sie fuhr wieder ins Chez Nadine, hatte aber noch den
Schlüssel, und am Abend hielt sie es nicht mehr aus. Es war
der erste Oktober, es wurde früh dunkel, aber der Tag war
warm gewesen, und der Abend blieb mild und vom Geruch
herbstlicher Blumen erfüllt. Nadine zitterte, und schließlich
stahl sie sich davon – es wurde einer jener Abende, an denen
Henri verzweifelt nach Cathérine telefonierte – und fuhr ins
Quartier Colette, parkte ihr Auto vor dem Grundstück, ging ins
Haus. Sie schaltete nur eine Lampe im Wohnzimmer ein, setzte
sich auf das Sofa vor den Kamin und wartete. Sie hatte sich
nicht zurechtgemacht, sich weder geschminkt noch ihre Haare
frisch gewaschen, sie trug alte Jeans und ein Sweatshirt von
Henri. Um sich zu beruhigen, rauchte sie eine Schachtel
Zigaretten, und um elf Uhr hörte sie seinen Wagen. Sie
überlegte, ob er ihr Auto bemerkte, ob er erwartete, sie hier
anzutreffen. Sie rührte sich nicht. Die Haustür wurde
aufgeschlossen, seine Schritte kamen den Gang entlang. Er trat
ins Wohnzimmer, wo sie im schwachen Schein der kleinen
Lampe kauerte. Später sagte er, daß er ihr Auto nicht gesehen
habe und es trotzdem auf eine unerklärliche Art natürlich
gefunden habe, sie auf seinem Sofa vorzufinden.
»O Gott, Nadine«, sagte er nur, und es klang ein
abgrundtiefes Seufzen in seiner Stimme, von dem sie wußte, es
entsprang seiner Verzweiflung darüber, daß die Situation von
nun an nicht mehr kontrollierbar sein würde.
Sie stand auf, und er stellte seine Reisetasche ab, sie traten
zögernd aufeinander zu, aber ihrer beider Scheu verflog in der
Sekunde, in der sich ihre Fingerspitzen berührten. Sie hatten
einander in ihrer Phantasie tausendmal geliebt, und was sie nun
taten, schien ihnen zutiefst vertraut. Er stand nur da und ließ
sich von ihr entkleiden, das Hemd von den Schultern streifen,
die Hose hinunterziehen. Ihre Bewegungen waren nicht hastig,
aber schnell und konzentriert. Als sie vor ihm niederkniete,
stöhnte er leise, und sie wußte, daß sie etwas tat, wovon er
wieder und wieder geträumt hatte.
Als es vorüber war, zog er sie hoch, wollte sie umarmen,
wollte beginnen, sie auszuziehen, aber sie wich zurück und
schüttelte den Kopf.
»Nein. Nicht so. Du kannst mich nicht so zufällig haben.
Einfach nur weil ich hier bin, weil die Gelegenheit günstig ist.«
Sie nahm ihren Autoschlüssel vom Tisch und wandte sich zur
Tür. »Ich möchte, daß du zu mir kommst. Und daß du dich
ganz für mich
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