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Die Taeuschung

Die Taeuschung

Titel: Die Taeuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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über dem Meer aufklarte. Wenn das Wetter schöner würde,
wäre alles leichter, davon war sie überzeugt.
Sie bestellte einen Kaffee und einen Schnaps, trank beides in
kleinen Schlucken und beobachtete fasziniert, wie die Wolken
in raschem Tempo aufrissen und auseinandergetrieben wurden.
Wind war aufgekommen. Der Regen versiegte, und blauer
Himmel breitete sich aus wie ein Flächenbrand.
Und auf einmal stürzte die Sonne hervor, mit einer
Unmittelbarkeit und einer Kraft, als habe sie sich allzulange
schon zurückhalten müssen. Sie ergoß sich über das Meer, den
Strand, die Steine auf der Promenade, die Häuser, die
Abfallkörbe, die Büsche und herbstlichen Blumen, und sie ließ
Milliarden von Regentropfen aufblitzen und funkeln.
Wie schön, dachte Laura, wie wunderschön, und sie war
überrascht, welch tiefe Magie dieser Moment für sie hatte und
wie stark sie ihn empfinden konnte.
»Darf ich mich zu dir setzen?« fragte jemand.
Es war Christopher, und er lächelte sie an.
Den Dialog, der sich zwischen ihnen entspann in dem
kleinen Cafe, würde sie bis an ihr Lebensende nie vergessen.
Genauer gesagt: Einige Passagen brannten sich ihr ein,
während andere in ein unwirkliches Dämmerlicht getaucht
blieben und nie zu wirklicher Klarheit gelangten.
Nach dem üblichen Hin-und-Her, dem »Was machst du denn
hier?« und »Ich habe noch mal versucht, dich anzurufen«,
sagte Christopher: »Du hast eben ganz verklärt ausgesehen. Ich
beobachte dich schon seit fünf Minuten, aber ich wagte nicht,
dich anzusprechen. Du schienst in eine Märchenwelt
versunken.«
Und Laura sagte: »Es war wie eine Märchenwelt plötzlich.
Die Sonne und all das Glitzern ringsum ...«
Dann waren wieder ein paar Belanglosigkeiten gewechselt
worden, und auf einmal hatte sie ihm etwas von ihren Gefühlen
anvertraut; sie wußte nicht, warum, denn für gewöhnlich war
Anne der einzige Mensch, mit dem sie Dinge besprach, die ihr
Innerstes betrafen.
»Ich habe eben etwas gefühlt, das mich für einen Moment
überwältigt hat«, sagte sie, »es war ein Anflug von Glück und
Leichtigkeit. Ich kannte das nicht mehr, es erinnerte mich an
meine Jugend, an eine Zeit, in der ich unbeschwert war und
siegessicher, an die Zeit vor ...« Sie hatte sich selbst
unterbrochen und hart auf die Lippen gebissen, aber natürlich
hatte Christopher gewußt, was sie hatte sagen wollen.
»Die Zeit vor Peter«, vollendete er, und sie widersprach
nicht.
Später sprach sie ihn auf den geplanten Segeltörn an. »Hat es
dich wirklich nicht gewundert, daß Peter nicht erschien?«
»Wir waren nicht verabredet.«
»Ihr wart nicht ... aber am Sonntag sagtest du ...«
»Am Sonntag war ich überrumpelt. Ich wußte nicht, wie ich
reagieren sollte.«
»Hat es dich nicht überrascht, daß er sich nicht mit dir
verabreden wollte? Nach all den Jahren, in denen diese
Herbstwoche fester Bestandteil eures Lebens war?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil ich Bescheid wußte.«
Ein sanftes Rauschen in ihren Ohren. Ein leises Pochen
unterhalb ihrer Kehle. Seltsamerweise hatte es keine Sekunde
lang einen Zweifel für sie gegeben, was er meinte.
»Seit wann?«
»Seit wann ich es weiß? Seit drei Jahren. Vor drei Jahren hat
Peter es mir gesagt.«
»Ich meinte: Seit wann geht seine ... Geschichte? Weißt du
das?«
»Seit vier Jahren.«
Das Rauschen verstärkte sich. Es war unangenehm. Einmal,
während einer heftigen Grippe, hatte sie dieses Rauschen
gehört und auch den Eindruck gehabt, sich von allem, was
greifbar und real war, zu entfernen. Damals hatte sie sehr heftig
gefiebert.
»Wer ist sie?«
»Nadine Joly«, sagte er, und sie meinte, die Welt breche
unter ihr zusammen und der Himmel stürze über ihr ein.
3
    Nadine Joly war immer der Überzeugung gewesen, daß es im
Leben eines jeden Mannes und einer jeden Frau eine große
Liebe gab, einen Menschen, der das Pendant darstellte, der die
Zwillingsseele, das Gegenstück, die andere Hälfte war.
Fraglich blieb, wann man diesem Menschen begegnete, und ob
man zu diesem Zeitpunkt frei war, ihn in seiner Bedeutung für
das eigene Schicksal zu erkennen.
    Auf den ersten Blick hatte sie gewußt, daß Peter Simon der
Mann war, bei dem ihre Bestimmung lag. Sechs Jahre zuvor,
sie war siebenundzwanzig gewesen und bereits verzweifelt
gefangen in dem Gefühl, in einer Sackgasse gelandet zu sein,
war er am Mittag eines glühend heißen Julitages in den Garten
des Chez Nadine gekommen; sie hatte an einen Baum

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