Die Taeuschung
eindringlich aus schmalen Augen an.
»Du bist doch nicht schwanger? Du weißt, wir waren uns einig,
daß wir auf keinen Fall ...«
»Nein. Nein, um Gottes willen, das ist es nicht.« Sie lachte
nervös. »Nein, es ist etwas anderes ... du wirst es albern finden.
Wahrscheinlich ist es auch albern ...«
Er trank geräuschvoll von seinem Cidre und wischte sich
dann mit der Papierserviette über das fettglänzende Kinn.
»Herrgott, was ist es denn? Es muß dich ja ganz schön
durcheinanderbringen, wenn du selbst ein so einfaches Essen
wie Huhn und Reis vermurkst. Übrigens siehst du nicht gut
aus.« Der Blick, mit dem er sie bedachte, war so kritisch wie
der, mit dem er zuvor den Reis auf seiner Gabel beäugt hatte.
»Hast du dich früher geschminkt und jetzt damit aufgehört?«
»Ich habe mich noch nie geschminkt.«
»Aber deine Haut war nicht so grau.«
»Ich schlafe schlecht. Ich ... ich habe so seltsame Erlebnisse
...«
Immerhin schien er nun ein wenig beunruhigt. »Seltsame
Erlebnisse? Seltsame Erlebnisse gibt es nicht, das weißt du.
Vielleicht kommst du in die Wechseljahre. Da sollen Frauen ja
sehr eigenartig werden.«
»Stephane, ich bin achtundzwanzig!«
»Bei manchen geht’s eben früh los.« Er wandte sich wieder
seinem Essen zu. Aus irgendeinem Grund hatte sie plötzlich
das Bedürfnis, loszuheulen. Sie mußte einige Male schlucken,
um einen Tränenausbruch zu verhindern.
»Stephane, ich glaube, daß ich verfolgt werde«, sagte sie
schließlich, und nun schwankte ihre Stimme bedenklich, »seit
einiger Zeit schon. Jemand ist ständig um mich herum ...«
Sie konnte sehen, wie sehr sie ihn nervte. Er hatte in Ruhe
essen wollen. Während der Mahlzeiten sprachen sie für
gewöhnlich kaum miteinander, reichten einander nur mit einem Bitte und Danke Salz und Pfeffer oder machten Bemerkungen
über das Wetter.
Aber eigentlich, dachte Pauline plötzlich, reden wir auch
sonst nicht viel mehr.
»Jemand ist ständig um dich herum?« wiederholte er, und
sein Tonfall machte deutlich, wie absurd er fand, was sie sagte.
»Nun ja, nicht ständig ...«
»Was denn nun? Ständig oder nicht ständig? Kannst du dich
nicht wenigstens klar ausdrücken?«
Sie berichtete ihm von den merkwürdigen Erlebnissen, die
ihr in der letzten Zeit widerfahren waren. Von dem Auto, das
ihr gefolgt war. Von der unsichtbaren Person im Klostergang
bei Berard. Von dem Schatten vor ihrem Fenster.
»Und gestern ...«
»Was war gestern?« Er klang ungeduldig und gereizt.
»Gestern mittag bin ich zur Post gegangen. Ich wollte
Briefmarken kaufen. In einigem Abstand fuhr mir langsam ein
Auto hinterher.«
»Dasselbe Auto, das dir angeblich schon einmal gefolgt ist?«
»Ein anderes. Beim letzten Mal war es, glaube ich, ein
Toyota. Jetzt ein kleiner Renault.«
»Aha. Diesmal also ein Renault. Und was tat er, dieser
feindliche Renault?«
Sie hatte gewußt, daß es keinen Zweck hatte. Er würde ihr
nicht glauben, und, was noch schlimmer war, er würde
aggressiv werden. Genau das war ihr von vornherein klar
gewesen.
»Er folgte mir einfach. Im Schrittempo. Sonst tat er nichts.«
»Aufregende Geschichte«, bemerkte Stephane ironisch.
Ihre Augen schwammen. »Aber Stephane! Das ist doch nicht
normal! Und dann, gestern abend, als ich zum Briefkasten ging
...«
»Wieso gingst du zum Briefkasten? Ich denke, du warst
mittags schon bei der Post!«
»Ich hatte Briefmarken gekauft, wie ich doch sagte. Dann
habe ich den Brief geschrieben und ihn abends weggebracht.«
»Sehr ökonomisch. Auf die Idee, zuerst den Brief zu
schreiben und ihn dann gleich von der Post abzuschicken, bist
du wohl nicht gekommen?«
»Stephane, darum geht es doch jetzt gar nicht. Mir ist abends
schon wieder jemand gefolgt.«
»Aha. Wieder der kleine Renault?«
»Nein. Diesmal war es jemand zu Fuß. Ich konnte die
Schritte hören, obwohl sich die betreffende Person Mühe gab,
leise zu sein.«
»Vielleicht wollte irgendein anderer harmloser Mensch
ebenfalls zum Briefkasten! Das kommt nämlich vor. Oder er
hat einen Abendspaziergang gemacht. Nicht immer, wenn
außer dir ein weiterer Mensch sich auf der Straße aufhält, will
er dir ans Leben!«
»Aber er ist geschlichen!«
Stephane seufzte tief. Demonstrativ schob er die letzten
Essensreste an den Tellerrand. Du hast mir den Appetit
verdorben, hieß das.
»So. Und wer ist deiner Meinung nach jener geheimnisvolle
Unbekannte?«
Pauline wagte es kaum noch auszusprechen. Fast flüsternd
sagte sie: »Es
Weitere Kostenlose Bücher