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Die Täuschung

Die Täuschung

Titel: Die Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caleb Carr
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mal, was für Vögel können hier oben überleben?«
    Ich trat neben ihn. »Vielleicht könnten Sie ein bisschen deutlicher werden, Colonel. Was genau ist Ihrer Meinung nach da draußen?«
    Slayton schüttelte weiterhin den Kopf. »Möglicherweise der Tod, Doktor. Und das Schlimmste ist, es könnte ein Tod sein, den ich selbst ausgebrütet habe.«

32
    W ir hatten im Pentagon schon eine ganze Weile mit der Idee gespielt«, erklärte Slayton, ohne den Blick vom dunklen, nebelgestreiften Horizont hinter dem Schiff zu wenden. »Wissen Sie, wir versuchen seit langem, das Grundproblem moderner Überwachung zu lösen. In den letzten fünfzig Jahren hat jedes neue elektronische Ortungssystem bald eine gleichwertige Weiterentwicklung der Tarntechnologie nach sich gezogen – und mit dem Aufkommen der Computer hat sich dieses Rennen exponentiell beschleunigt. Alle Großmächte waren auf der Suche nach einem Ausweg, einer narrensicheren neuen Lösung, aber die Technologie, die einen solchen Fortschritt ermöglicht hätte, gab es noch nicht. So lautete jedenfalls die landläufige Meinung. Tatsächlich war der Grundstock für eine Lösung bereits Jahre zuvor während des Drogenkrieges – oder in der Sprachregelung, die man uns eingebläut hat: der Polizeiaktion – in Kolumbien und Ecuador gelegt worden. Und zwar von Einheiten unter meinem Kommando.« In die düstere Stimmung des Colonels schien sich einen kurzen Moment lang so etwas wie Stolz zu mischen. »Wir haben damals angefangen, kleine fliegende Drohnen einzusetzen, die mit mehreren Kameras und Mikrofonen für die Aufklärungsarbeit bestückt waren, und diese Taktik erwies sich als höchst erfolgreich – obwohl wir wirklich keine Ahnung hatten, dass wir auf die Lösung gestoßen waren.«
    »Die Lösung? Inwiefern?«, fragte Larissa. »Diese Geräte hatten weder Radar noch Tarnsysteme.«
    »Ganz recht«, erwiderte Slayton mit einem kurzen Lächeln. »Sie brauchten sie nicht, das war das Schöne daran. Wir hatten uns alle so daran gewöhnt, mit elektronisch erzeugten Informationen zu arbeiten, dass wir die grundlegenden Werkzeuge vergessen hatten, die Gott uns gegeben hat – unsere Augen und Ohren. Und zu denen wurden die Drohnen im Endeffekt. Als die ersten Experimente erfolgreich waren, haben wir ihre Flugvorrichtungen und ihre audiovisuelle Ausrüstung so stark minimiert, dass sie nicht nur eine enorme Reichweite hatten, sondern auch fast jedes Erfassungsfeld durchdringen konnten, ohne Alarm auszulösen. Nach dem Krieg sprach sich die Sache im Pentagon herum, und die Drohnen wurden zur Standardausrüstung. Als die Miniaturisierung großer Waffen dann vor zehn Jahren so richtig in Gang kam, war es nur eine Frage der Zeit, bis jemand schließlich auf die Idee kommen würde, bewaffnete Drohnen zu bauen. Die konnte man zu abgelegenen, sogar befestigten Orten lenken, wo sie dann mit absoluter Präzision ihre konventionellen oder nuklearen Bombenladungen abwerfen würden. Jedenfalls in der Theorie. Die Vorteile lagen auf der Hand« – Slaytons Narbe leuchtete im matten Licht im Geschützturm blutrot, während sich wieder ein gequälter Ton in seine Stimme schlich – »aber die Gefahren auch. Ein ausländischer Agent in einem amerikanischen Labor hätte mühelos nicht nur mit den Plänen, sondern gleich mit den Prototypen hinausmarschieren können. Glücklicherweise gab es ungeheure Probleme mit dem Entwurf und dem System, die unlösbar zu sein schienen. Wir gaben das Projekt noch zu meiner Zeit auf. Anscheinend haben sie es wieder in Angriff genommen.«
    »Vielleicht auch nicht«, sagte ich. »Nach allem, was wir wissen, Colonel, könnte das Schiff auch bloß einen kleinen Meteoritenschauer entdeckt haben. Oder irgendwelchen kosmischen Staub.«
    Zugegeben, das waren jämmerliche Versuche, eine andere Erklärung zu finden, und Slayton tat sie mit einer entsprechend verächtlichen Geste ab. »Zeigen Sie mir Meteoriten, die in Formation und auf einem Abfangkurs fliegen, Doktor, und …« Auf einmal gefror seine Miene. »Da« , sagte er leise. Ich starrte weiterhin in die Ferne, konnte aber nichts Erschreckendes entdecken. Als ich mich jedoch zu Larissa umdrehte, stellte ich fest, dass sie dasselbe sah wie der Colonel: Auf ihrem Gesicht lag der gleiche Ausdruck banger Nervosität.
    »Wo?«, fragte ich; aber Slayton drehte sich nur um, ging zu einem Tastenfeld an der Überwachungskonsole und schaltete die Lautsprecheranlage des Schiffes ein. »Hier ist Slayton«, verkündete

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