Die Täuschung
Dieser Eindruck bestätigte sich, als Larissa mich fragte, ob ich ihm wohl in seiner Unterkunft Gesellschaft leisten würde; er habe einen Schwindelanfall erlitten und sich dorthin zurückgezogen. Jemand müsse mit ihm reden und ihm helfen, diese schwierige Phase des Fluges zu überstehen, sagte sie, und sie wolle auf ihrem Posten bleiben, um die Drohnen unter Feuer nehmen zu können, falls das holografische System aus irgendeinem Grund versagte.
Mit bedächtigen Bewegungen stieg ich die Leiter aus dem Geschützturm hinunter und schlich zum Heck des Schiffes. Als ich Malcolms Unterkunft betrat – sie war aufgemacht wie die Kapitänskajüte eines alten Segelschiffes, mit einem breiten Bleiglasfensterimitat im hintersten Teil der Hülle –, dachte ich anfänglich, er wäre noch in der Aussichtskuppel; aber dann entdeckte ich seinen umgekippten Rollstuhl hinter einem grobschlächtigen Holztisch. Er selbst lag mit ausgestreckten Armen und Beinen unter dem Ding.
»Malcolm!«, rief ich eindringlich, aber mit leiser Stimme, denn draußen vor dem Fenster waren die Drohnen zu sehen. Ich eilte zu ihm hinüber, räumte den Rollstuhl vorsichtig beiseite und hob Malcolm auf. Schockiert und entsetzt bemerkte ich, wie leicht er war. In ein Schott war eine Kapitänskoje eingebaut, und ich legte ihn hinein, löste seinen Kragen und suchte nach einem Puls.
Aber so sehr ich mich auch bemühte, ich fand keinen.
33
M alcolm erlangte ganz ohne mein Zutun das Bewusstsein zurück, denn bevor ich noch mit Wiederbelebungsmaßnahmen begonnen hatte, ruckte sein ganzer Körper hoch, als hätte er einen starken elektrischen Schlag bekommen. Er sog die Luft tief in die Lungen und begann, heftig zu husten, ein Geräusch, das jedoch nicht laut oder charakteristisch genug zu sein schien, um die Aufmerksamkeit unserer Beobachter zu erregen. Ich goss ein Glas Wasser aus einem Zinnkrug ein und brachte ihn dazu, etwas zu trinken. Kaum war seine Atmung wieder halbwegs normal, flüsterte er:
»Wie lange war ich ohnmächtig?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete ich. »Ich habe Sie auf dem Fußboden gefunden.« Ich zog fragend die Augenbrauen hoch. »Sie hatten keinen Puls mehr, Malcolm.«
Er trank noch etwas Wasser und nickte. »Ja«, sagte er leise. »Das kommt vor – und zwar in letzter Zeit immer öfter.« Er legte sich wieder hin und versuchte, seinen Körper zu beruhigen. »Eines der unberechenbareren Symptome meiner Krankheit – spontane Abschaltung der elementarsten Funktionen. Aber es dauert nie lange.« Er schaute in scheinbar beiläufiger Frustration an die hölzerne Decke über seinem Bett. »Wenn ich mich doch nur erinnern könnte, ob ich dabei träume oder nicht …«
»Sind Sie schon dahinter gekommen, wodurch es ausgelöst wird?«, fragte ich, ein wenig erstaunt über sein Verhalten. »Spielt Erschöpfung eine Rolle?«
Er zuckte die Achseln. »Höchstwahrscheinlich. Allerdings …« Er rollte sich herum, schaute nach draußen und runzelte beim Anblick der Drohnen die Stirn. »Immer noch da, hm? Tja, Erschöpfung hin oder her, ich muss zu Eli zurück.«
Aber der Mann konnte sich nicht einmal aufsetzen. »Sie gehen jetzt nirgends hin«, sagte ich; und als er nach seinem Transdermalinjektor griff, nahm ich ihn ihm weg. »Und ich glaube auch nicht, dass Selbstmedikation nach einer neuroparalytischen Krise wirklich das Richtige ist.«
Seit unserer ersten Begegnung hatte ich stets akzeptiert, dass ihm sein Stolz wichtiger war als nahezu alles andere: Er konnte das Gefühl nicht ertragen, hilflos zu sein, und gab sich geradezu unmenschliche Mühe, ja nicht diesen Eindruck zu erwecken. Deshalb war ich auch keineswegs sicher, wie er auf meine ärztlichen Anweisungen reagieren würde. Doch zu meiner Überraschung sah er mich nur mit gefügiger Miene an, fast wie ein kleiner Junge, dem man befohlen hatte, nicht zur Schule zu gehen, sondern zu Hause zu bleiben. »In Ordnung«, sagte er ruhig. »Aber ich brauche meinen Stuhl.« Er wirkte sogar ein wenig erleichtert über die Aussicht, sich eine Weile ausruhen zu müssen, aber ich wusste, dass er das niemals zugeben würde; deshalb nickte ich nur und schob den Rollstuhl an sein Bett, damit er sich selbst hineinsetzen konnte. »Danke, Gideon«, sagte er, und es klang wie eine Reaktion darauf, dass ich ihm nicht geholfen hatte.
»Sie können froh sein, dass Ihre Schwester sich Sorgen um Sie gemacht hat«, sagte ich. »Sie hätten Gott weiß wie lange auf dem Fußboden liegen können, wenn
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