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Die Täuschung

Die Täuschung

Titel: Die Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caleb Carr
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er. »Die Drohnen sind jetzt etwa hundertfünfzig Meter hinter uns. Wir werden daher so lautlos fliegen müssen wie irgend möglich – keine unnötigen Geräusche, und sprecht leise. Am wichtigsten sind die Maschinen – Julien, wir müssen sie auf Minimalleistung herunterfahren. Und Jonah, stellen Sie die holografische Projektion neu ein.«
    Der eindringliche Ton, in dem der Colonel seine Befehle gab, veranlasste mich, die Stratosphäre noch aufmerksamer abzusuchen; ich wollte unbedingt einen Blick von den geheimnisvollen Erfindungen erhaschen, die ihn so spürbar nervös machten. Als ich sie dann endlich entdeckte, war der Anblick ebenso faszinierend wie erschreckend: Die mehreren Dutzend basketballförmigen Drohnen – sie sahen aus wie Fantasieprodukte von John Price – besaßen große »Augen«, die, wie ich bald erfuhr, in Wahrheit Gehäuse für raffinierte optische Instrumente waren. Anhängsel, die ebenso komplexe Audiomonitoren beherbergten, und Rümpfe mit Flug- und Lenkvorrichtungen trugen dazu bei, dass die Drohnen alles in allem wie riesige Insekten wirkten. Zudem starrten sie von stacheligen Antennen: programmierbare Detonatoren, erklärte Slayton kurz und sparte sich weitere Ausführungen für eine spätere Verlautbarung an die gesamte übrige Crew.
    »Vergesst nicht«, sagte er, »wenn ich Recht habe, ist jedes dieser Dinger mit einer atomaren Sprengladung ausgerüstet, die dieses Schiff vernichten könnte. Wir müssen allergrößte Vorsicht walten lassen.«
    Wie zur Antwort auf Slaytons Worte schossen die Drohnen auf einmal nach vorn und umringten uns. Ihre vielen neugierigen Augen bekamen nun etwas Bedrohliches. Gemäß den Anweisungen des Colonels verlor unser Schiff stetig an Fahrt, bis wir nur noch im Schneckentempo dahinkrochen – in einem nervenzerfetzenden Schneckentempo. Meine Angst erschwerte es mir, leise zu sprechen, aber ich musste die Frage stellen: »Würde wirklich jemand in dieser Höhe eine atomare Explosion auslösen, Colonel?«
    Slayton nickte, während er die Drohnen um uns herum mit dem gleichen starren Blick maß wie diese uns. »Die hier sind vermutlich mit Röntgenlasern bestückt – sie werden durch eine Atomexplosion aktiviert und haben ein ungeheures Zerstörungspotenzial, aber der Fallout ist minimal.«
    »›Minimal‹?«, flüsterte Larissa.
    »Offenbar stellen wir für sie eine solche Bedrohung dar, dass sie das Risiko eingehen würden«, sagte Slayton. »Und das, obwohl sie anscheinend noch gar nicht genau wissen, worin diese Bedrohung besteht. Keine ungewöhnliche Denkweise für den nationalen Sicherheitsapparat der Amerikaner – wie Sie selbst geschrieben haben, Doktor.«
    »Und wird der holografische Projektor uns vorläufig schützen?«, fragte ich.
    »Das müsste er eigentlich«, antwortete der Colonel. »Für das bloße Auge ist unser Schiff jetzt nicht mehr als ein harmloser atmosphärischer Nebelstreifen.«
    Larissa nickte. »Und der Projektor funktioniert bei diesen Drohnen genauso gut wie beim Auge.«
    »Damit verwandelt er die Stärke der Drohnen wieder in eine Schwäche«, meinte Slayton. »Aber wie gesagt, wir strahlen noch keine neue Radarsignatur ab – wir können davon ausgehen, dass sie auf die alte fixiert bleiben und auf eine Bestätigung für menschliche oder mechanische Aktivitäten warten. Wir müssen auch weiterhin sehr darauf achten, leise zu sein – das gilt auch für das Schiff selbst.« Als der Colonel sah, dass die Geräte draußen nach wie vor keine feindselige Bewegung machten, entspannte er sich ein wenig. »Aber zumindest für den Augenblick gelingt es uns anscheinend, sie zu täuschen.« Er gestattete sich ein weiteres kurzes Lächeln. »Was wohl meine Freunde da unten sagen würden, wenn sie wüssten, dass sie mich verfolgen …«
    Obwohl die Nervosität dank des holografischen Projektors nachgelassen hatte, bewegten wir uns in der Anfangsphase unseres Fluges zwischen den Drohnen alle sehr vorsichtig und unterhielten uns, Colonel Slaytons Anweisungen folgend, in gedämpftem Ton. Nach einer halben Stunde hatte sich unsere Anspannung ein klein wenig gelöst, aber auch nicht mehr; und ich stand noch immer reglos neben Larissa, als ich hörte, wie sie über ihre Kommunikationsimplantate leise mit ihrem Bruder zu sprechen begann. Ihr Ton war beruhigend und mitfühlend, und ihre Worte gaben mir bald das Gefühl, dass der Druck der ganzen Situation und insbesondere dieser Augenblicke Malcolm zumindest ein bisschen zu schaffen machte.

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