Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Täuschung

Die Täuschung

Titel: Die Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caleb Carr
Vom Netzwerk:
ihrem Schweigen lag etwas so unaussprechlich Aufrichtiges und Trauriges, dass ich nicht anders konnte, als sie in die Arme zu nehmen und an mich zu ziehen. »Tut mir Leid«, sagte ich leise.
    Gerade ich hätte mir eine solch dumme, unbedachte Bemerkung sparen sollen, sagte ich mir zerknirscht. Jemand mit einer Vergangenheit wie Larissa würde sich bestimmt nicht viele Momente echter emotionaler Verletzlichkeit erlauben und in solch außergewöhnlichen Augenblicken nach wie vor sehr empfindlich auf die Möglichkeit reagieren, im Stich gelassen zu werden. Im Umgang mit solchen Menschen sind auch noch so beiläufig hingeworfene Andeutungen, man könnte sie verlassen, nichts anderes als herzlos. Deshalb schwieg ich und hielt sie weiterhin fest; ich hoffte zwar, meine Umarmung würde genügen, die offenkundigen Auswirkungen meiner Gedankenlosigkeit rückgängig zu machen, war mir aber ziemlich sicher, dass es nicht so sein würde.
    Wie sooft während meiner Zeit mit Larissa irrte ich mich jedoch. »Ist schon in Ordnung«, sagte sie schließlich leise, aber mit echter Überzeugung.
    »Wirklich?«, fragte ich.
    »Manchmal macht es mir Spaß, mich kindisch zu benehmen, Gideon«, erwiderte sie, »aber deshalb bin ich trotzdem kein Kind. Ich weiß, dass du mich nicht verletzen wolltest.« Natürlich hatte sie Recht; und als ich mir ein weiteres Mal ins Gedächtnis rief, dass sie anders war als alle anderen Frauen, die ich je gekannt hatte, entfuhr mir unwillkürlich ein leises Lachen. Sie sprang automatisch darauf an. »Was ist denn so komisch, du gemeiner Mistkerl?«
    »Na ja, es hat schon irgendwie etwas Belustigendes«, antwortete ich leise. »Die Vorstellung, dass ich dir weglaufen würde.«
    »Das stimmt«, sagte sie, als sie ihre liebenswerte Selbstbeherrschung wiedererlangt hatte. »Jetzt, wo du’s sagst – absurde Idee.«
    »Schon gut«, sagte ich und schüttelte sie sanft. »Du brauchst es nicht gleich zu übertreiben.«
    Sie drückte das Gesicht fester an meine Brust und sagte so leise, dass ich nicht sicher war, ob ich es hören sollte:
    »Du wirst mich nicht verlassen, Gideon.«
    Hätte ich gewusst, dass dies der letzte unkomplizierte Moment sein sollte, den Larissa und ich unserer außergewöhnlich komplizierten Situation abtrotzen konnten, so hätte ich mir viel mehr Mühe gegeben, ihn zu verlängern. Vielleicht hätte ich als Erstes einmal versucht, die Schiffssirene zu ignorieren, die mit typischem schlechtem Timing genau in diesem Moment ertönte. Doch als wir dort standen, schien mir in meiner Torheit alle Bedrohung von etwas anderem auszugehen als von meiner Beziehung mit Larissa; und so löste ich mich aus unserer Umarmung und versäumte es vollkommen, dem Augenblick die Bedeutung zu geben, die er verdiente. Jetzt ist mir natürlich klar, dass dies nur einer von mehreren schweren Fehlern war, die ich damals beging; aber dieses Wissen trägt kaum dazu bei, den Schmerz der Erinnerung zu lindern.
    Einige Zeit, nachdem der Alarm losgejault hatte – Larissa und ich waren bereits unterwegs zum Geschützturm –, hörten wir hinter einer Biegung des Ganges Schritte auf uns zukommen. Am Fuß der Leiter, die zum Geschützturm hinaufführte, standen wir gleich darauf Colonel Slayton gegenüber.
    »Wir haben es noch nicht geschafft, die neue Signatur zu erzeugen.« In seiner Stimme lag eine vage und ganz untypische Andeutung von Furcht. »Zu spät, zu spät – habt ihr sie schon gesehen?« Seine Formulierung deutete darauf hin, dass er dem Rest des Teams bereits dieselbe Frage gestellt hatte; doch er kletterte schon wieder die Leiter hinauf, ohne zu erklären, was er meinte, oder auf eine Antwort von Larissa oder mir zu warten. »Sie können diese Dinger unmöglich gebaut haben«, sagte er, während er emporstieg. »Nicht einmal sie können so dumm sein!«
    Wir folgten dem Colonel in den Geschützturm, wo er sofort zu einer Seite des Aufbaus ging, die Hände an die transparente Hülle legte und in die Dunkelheit über und hinter unserem Schiff hinausspähte. Ich konnte am gekrümmten Horizont der Stratosphäre nichts Bemerkenswertes entdecken; und Larissa, die dasselbe Gebiet absuchte, ging es nicht viel anders.
    »Colonel?«, fragte sie. »Was ist los, haben Sie auf den Radarschirmen etwas entdeckt?«
    Slayton nickte, aber das Nicken verwandelte sich rasch in ein angewidertes Kopfschütteln. »Einen Vogelschwarm – als solcher werden sie jedenfalls erkannt. Ich würde es liebend gern glauben, aber Teufel noch

Weitere Kostenlose Bücher