Die Täuschung
mit den emotionalen und praktischen Problemen, die der Gedanke an einen Ausstieg aufwarf. Zuallererst war da natürlich Larissa. Nachdem ich mich schon vor Jahren damit abgefunden hatte, dass ich kaum jemals eine Frau finden würde, die meine Art zu leben und zu arbeiten nicht nur duldete, sondern auch bewunderte, würde es mir bestimmt nicht leicht fallen, die einzige, die ich schließlich gefunden hatte, aufzugeben. Vor allem, weil unsere gegenseitige Anziehungskraft und das Behagen, das wir empfanden, wenn wir zusammen waren, noch durch die starken Bande intensiviert wurde, die sich oftmals zwischen Menschen herausbilden, deren Kindheit von Gewalt überschattet wurde. Natürlich bestand die Möglichkeit, dass Larissa ihren Bruder meinetwegen verließ; und da die Alternative derart herzzerreißend war und in meinem Kopf mittlerweile ein hoffnungsloses Chaos herrschte, klammerte ich mich während des restlichen Rückflugs nach St. Kilda mehr und mehr an diese Idee.
Dieser überaus törichte Wunschtraum, der in krassem Widerspruch nicht nur zu meinem erlernten beruflichen Wissen, sondern auch zu all meinen Erfahrungen mit Malcolm und Larissa stand, war so stark, dass er auch die Frage beeinflusste, wie ich mit meinem neuen Status als international gesuchter Verbrecher umgehen sollte. Sollte ich mich der Weltjustiz auf Gedeih und Verderb ausliefern, erklären, dass ich persönlich nicht in den Coup involviert gewesen war, der den Tod von Millionen Menschen zur Folge gehabt hatte, und eine Gefängnisstrafe riskieren? Das würde ich nicht tun; aber vielleicht konnte ich lernen, das Leben als international gesuchter Flüchtling zu ertragen und sogar zu genießen, indem ich mir die Fähigkeiten zunutze machte, die ich von Malcolm und den anderen gelernt hatte – vorausgesetzt natürlich, Larissa käme mit mir. Während das Schiff über die Isle of Skye hinwegraste, wurde mein Traum immer detaillierter und romantischer: Larissa und ich würden auf der Flucht leben und uns alles, was wir brauchten oder haben wollten, von einer Welt nehmen, die uns nicht aufzuhalten vermochte.
Und als Larissa, nachdem sie dafür gesorgt hatte, dass Malcolm sich ausruhte, endlich in meine Kabine kam und mir tränenüberströmt in die Arme sank, entschied ich mich, dies als ein Zeichen dafür zu betrachten, dass ihre Liebe zu mir allmählich ihre treu sorgende Hingabe an ihren Bruder überwog. Ich sagte jedoch nichts Dergleichen und schwieg auch über meine illusionären Zukunftspläne, weil ich es nur für fair hielt, die Sache zuerst einmal mit Malcolm zu besprechen. Dieses Stillschweigen bewahrte ich auch während der nächsten Tage auf Hirta, wo jedes Mitglied unserer Gruppe weiter versuchte, ganz für sich allein mit den Geschehnissen ins Reine zu kommen. Es war keine leichte Zeit; obwohl wir es erfolgreich vermieden, miteinander über das Thema zu sprechen, verspürten wir fast so etwas wie einen Zwang, insgeheim Nachrichtenmeldungen über die Katastrophe in Moskau zu lesen und anzusehen, und während die Zahl der Opfer stieg, lastete ein gemeinsamer, aber nicht ausgesprochener Kummer schwer auf uns. Irgendwann kam die Wahrheit über Dov Eshkol ans Licht, aber zugleich mehrten sich Berichte, er habe Komplizen gehabt, die in einer Art ultramodernem Flugzeug entkommen seien, und daraufhin war die Angst vor möglichen aggressiven Akten gegen St. Kilda ein weiterer Punkt auf der Liste der Befürchtungen, die jedem auf der Insel zu schaffen machten.
Immerhin wurde diese Befürchtung weit gehend zerstreut, als Larissa, die sich zwei Tage lang um ihren Bruder gekümmert hatte, uns anderen anschließend mitteilte, Malcolm habe sich mit Edinburgh in Verbindung gesetzt: Die schottische Regierung habe es abgelehnt, die UN-Alliierten davon in Kenntnis zu setzen, dass Malcolm St. Kilda gekauft hatte. Malcolm wiederum habe ihr weitere Mittel für den schottischen Unabhängigkeitskampf versprochen. Erleichtert darüber, dass man uns zumindest eine Zeit lang in Frieden lassen würde, wollten die anderen sich wieder zurückziehen, um ihren Gedanken über die jüngste Vergangenheit und über die unsichere Zukunft nachzuhängen. Ich war ebenfalls im Begriff zu gehen, aber Larissa fasste mich am Arm.
»Er möchte dich sehen«, sagte sie mit einer Geste zu Malcolms Unterkunft, die so gelegen war, dass sie den Zugang zu seinem Privatlabor versperrte. »Aber er darf sich auf keinen Fall aufregen, Gideon – es geht ihm besser, aber gesund ist er nicht.«
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