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Die Täuschung

Die Täuschung

Titel: Die Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caleb Carr
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und der B-2 detonieren, um uns eine ihrer Ansicht nach offenbar sehr ernsthafte Warnung zu erteilen. Die Explosion hatte natürlich kaum irgendwelche Folgen – die Magnetfelder unseres Schiffes konnten den Lenksystemen jeder Luft-Luft-Rakete übel mitspielen, die heutzutage in Gebrauch war, und Eshkol würde sich momentan sicher von gar nichts einschüchtern lassen –, aber gerade die Unwirksamkeit des Versuchs zerrte an unseren Nerven, weil sie die Piloten der Alliierten leichtsinnig und wütend zu machen schien. Sie schoben sich immer näher an die B-2 heran, wodurch das Risiko einer katastrophalen Kollision erheblich wuchs; und als wir weiter durch den Balkan und nach Norden in Richtung Polen flogen, wurde die Situation immer aggressiver und unberechenbarer. Die Aufgabe, sowohl den Flugzeugen der Alliierten als auch der B-2 auszuweichen, ohne sich von den explodierenden Raketen und dem unablässigen Geschützfeuer ablenken zu lassen, überforderte schließlich selbst Colonel Slayton, und Larissa übernahm seinen Platz am Ruder. Doch trotz des Vertrauens und der tiefen Gefühle, die ich ihr entgegenbrachte, beruhigte mich der Wechsel nicht, denn ich wusste, dass Slayton sich niemals vom Zorn übermannen lassen würde, was vielleicht nicht für Larissa galt. Wie Malcolm schon bei seiner Schilderung von John Prices Tod gesagt hatte: »Nun ja, Larissa …«
    Ich glaube nicht, dass einer der anderen sich in diesem Moment sicherer fühlte als ich, außer natürlich Malcolm; deshalb war er es auch, der als Erster bemerkte, dass unser Kurs sich dramatisch geändert hatte. »Nach Osten«, sagte er so leise, dass ich ihn beim Lärm der Flugzeuge und Explosionen fast nicht verstand. »Nach Osten«, wiederholte er deutlicher. »Er ist nach Osten abgebogen!«
    Colonel Slayton beugte sich über einen der Monitore des Steuersystems, und seine Stimme wurde zu meiner großen Bestürzung noch beherrschter: »Wenn er auf diesem Kurs bleibt, fliegt er mehr oder weniger in gerader Linie über ein dicht besiedeltes Gebiet – Bialystok, Minsk, Smolensk …« Er blickte auf und schaute zu der B-2 hinaus, weil er den letzten Namen nicht auszusprechen wagte:
    »Moskau« , verkündete Malcolm langsam, und sein Gesicht wurde aschfahl. Dann sagte er knapp, aber mit Nachdruck: »Larissa, Gideon – ich schlage vor, ihr begebt euch beide in den Geschützturm.« Larissa benötigte keine weitere Aufforderung; sie stand sofort auf und zog mich zur Tür zum Gang. »Wir warten noch, bis er Smolensk passiert hat«, rief Malcolm uns nach. »Falls er nicht von seinem Kurs abweicht …«
    Larissa drehte sich um. »Das wird ein bisschen eng, nicht wahr, Bruder? Bei seiner Geschwindigkeit …«
    »Bei seiner Geschwindigkeit, Schwester, solltest du lieber gut zielen.«
    Der Rest dieses Abschnitts meiner Geschichte hat etwas schrecklich Einfaches, eine armselige Kürze, die ich mit Freuden ausschmücken würde, wenn ich damit das Geschehene ändern könnte. Larissa und ich wechselten kaum ein Wort, als wir unsere Positionen im Geschützturm einnahmen; und auch in der nächsten Dreiviertelstunde, als Ostpolen und Westrussland schemenhaft unter uns hinwegrasten, herrschte weiterhin Schweigen in dieser transparenten Halbkugel, ein Schweigen, das nicht einmal mehr von dem ständigen Lärm des Geschützfeuers und der Raketenexplosionen unterbrochen wurde. Die Flugzeuge der Alliierten hatten die Verfolgung nämlich aufgegeben, lange bevor wir in den unberechenbaren Luftraum dieser vollkommen unberechenbaren Ruine eines Imperiums namens Russland eintraten. Ich weiß nicht, was Larissa in dieser Zeit dachte, da ich in den kommenden Tagen nicht auf die Idee kam, sie zu fragen. Was mich betraf, so beschäftigte mich die Frage, was wohl in ihrem Kopf vorging, als sie sich bereitmachte, das Leben eines weiteren Menschen zu beenden. Es stand so gut wie fest, dass sie den Befehl dazu bekommen würde: Eshkol hatte uns mit seinem Verhalten seit dem Augenblick, als wir auf ihn aufmerksam geworden waren, eigentlich gar keine andere Wahl gelassen, als ihn zu exekutieren. Jetzt konnten wir nur noch hoffen, grübelte ich vor mich hin, während wir im Geschützturm warteten, dass so wenige Menschen wie möglich verletzt oder getötet werden würden.
    Ich kam überhaupt nicht auf die Idee, dass Eshkols Flugzeug einfach verschwinden könnte; doch irgendwo zwischen Minsk und Smolensk schien genau das zu passieren. Auf keinem der Geräte war mehr eine Spur von ihm zu sehen, und

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