Die Täuschung
auf den anderen Überwachungssystemen des Schiffes ebenso wenig, wie Malcolm uns bald darauf mitteilte. Ich war völlig verwirrt, bis Larissa auf die einfachste mögliche Erklärung hinwies: dass Eshkol abgestürzt war. Bei diesem Gedanken wurde mir sofort leichter ums Herz, aber ich zwang mich zur Skepsis. Hätten wir nicht die Flammen gesehen? Oder seinen Sturzflug bemerkt? Würde Eshkol sich nicht mit dem Schleudersitz hinauskatapultiert haben, wenn er sich in Gefahr befunden hätte? Nicht unbedingt, antwortete Larissa; Flugzeuge konnten ohne größere Explosionen abstürzen, und zwar so plötzlich, dass es schwierig war, ihren Höhenverlust zu verfolgen. Und bei einem Nachtflug konnte man manchmal derart die Orientierung verlieren, dass ein todgeweihter Pilot nicht einmal bemerkte, dass er in Schwierigkeiten war. Trotzdem schien es dringend geboten, die Umgebung sowie die Systeme unseres Schiffes einigen gründlichen Überprüfungen zu unterziehen, und Larissa und ich kehrten zum Bug zurück, um dabei zu helfen. Doch die ganze Crew konnte weder Hinweise auf der Erde noch Fehlfunktionen in den Geräten an Bord des Schiffes finden. Es hatte tatsächlich den Anschein, als wäre Eshkols Flugzeug verschwunden, wahrscheinlich in einem Feld oder einem Wald, wo man seinen Rumpf erst bei Tagesanbruch entdecken würde – falls überhaupt.
Woher hätten wir es auch wissen sollen? Aus welchem Grund hätten wir unsere Lauschvorrichtungen wieder auf Malaysia richten sollen, wo wir erfahren hätten, dass noch mehr gestohlen worden war als nur der B-2-Bomber? Und selbst wenn uns zufällig zu Ohren gekommen wäre, dass ein gestohlenes amerikanisches Tarnkappensystem – so modern und geheim, dass nur eine Hand voll Menschen in den Vereinigten Staaten von dem Diebstahl des Entwurfs wusste – in dieser B-2 installiert worden war, hätten wir uns dann noch rechtzeitig der Aufgabe gewachsen gezeigt, es zu überwinden? All diese Fragen waren schrecklich müßig. Eine Tatsache stellte alles andere in den Schatten, in jener Nacht wie in dieser und allen Nächten danach:
Genau in dem Moment, als wir alle zu glauben begannen, das Glück wäre vielleicht wieder einmal auf unserer Seite, wurde der Horizont im Nordwesten von einem wunderschönen, strahlenden Licht erhellt. Da wir freie Sicht hatten, zog der plötzliche Lichtschein unser aller Aufmerksamkeit auf sich; und in dem tödlichen Bewusstsein dessen, was dort geschah, sagte keiner von uns ein Wort, als die unvermeidliche Bestätigung erfolgte und die typische Pilzwolke, die in all den schrecklichen Farben der soeben ausgelösten Explosion loderte, sich langsam über der Stadt formte, die einmal Moskau gewesen war.
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W ie versteinert standen wir da. Der entsetzliche Feuerball war längst verblasst, bevor einer von uns Worte dafür fand. Als endlich jemand sprach, war es Eli, und er stellte die Frage, die uns alle bewegte: Wie war Eshkol uns entkommen? Natürlich hatte niemand darauf eine Antwort, und die schreckliche Frage sollte während unserer ganzen Rückreise anklagend über uns hängen. Erst auf St. Kilda fand Colonel Slayton dann nach langen Stunden im Abhörraum schließlich die Lösung. Vorläufig schüttelten wir jedoch alle nur den Kopf und starrten weiterhin stumm hinaus. Wir hatten keine Ahnung, wie es zu der Tragödie hatte kommen können, und wussten nicht, was wir nun tun sollten. Wie zu erwarten, war es schließlich Malcolm, der uns aus unserer entsetzten Benommenheit riss: Mit einer Stimme, die wie aneinander schabende Steine knirschte und zu seinem leichenblassen Gesicht passte, befahl er Larissa, das Schiff in die brennende Stadt zu steuern, ein Befehl, der uns andere allesamt ungläubig nach Luft schnappen ließ. Larissa, die sah, dass ihr Bruder völlig am Boden zerstört war, gab in sehr sanftem und behutsamem Ton zu bedenken, ein solcher Flug könne gefährlich sein; aber Malcolm entgegnete zornig, das Schiff werde uns schon vor der Strahlung schützen, zumindest für einige Zeit, und er müsse das Ausmaß der Zerstörung sehen – so wie wir alle, fügte er hinzu. Ohne weitere Widerworte übernahm Larissa das Ruder, und wir flogen nach Moskau – und verloren unsere Unschuld in einem Maße, wie es zum Glück nur vergleichsweise wenigen Menschen in der Weltgeschichte jemals widerfahren ist.
Es gibt keine Worte; zumindest finde ich keine. Soll ich beschreiben, wie viele Schattierungen ich in dem entdeckte, was man normalerweise als »graue« Asche
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