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Die Täuschung

Die Täuschung

Titel: Die Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caleb Carr
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machen weiter.« Er schien immer noch nicht bereit zu sein, mir in die Augen zu schauen. »Wie wir beide bereits besprochen haben, müssen wir sicherstellen, dass alle zukünftigen Projekte nach einer angemessenen Frist aufgedeckt werden. Wir werden Hinweise einbauen – nicht nur Hinweise, sondern offensichtliche Fehler –, sodass selbst die begriffsstutzigsten …«
    »Malcolm?«, unterbrach ich ihn, zu schockiert, um ihm weiter zuzuhören, aber immer noch um einen offenen, ruhigen Ton bemüht. »Malcolm, ich kann dabei nicht mehr mitmachen. Was Sie tun, ist nicht nur subversiv, es ist unvorstellbar gefährlich. Selbst Ihnen muss das doch inzwischen klar sein.« Er gab keine Antwort, und mir drehte sich vor Ungläubigkeit schier der Kopf. »Ist es möglich – wollen Sie das wirklich leugnen? Sie glauben vielleicht, Sie könnten Ihre Arbeit, Ihr Spiel unter Kontrolle behalten. Aber es gibt Millionen Menschen da draußen, die sich täglich aus Abertausend Stückchen bizarrer neuer Informationen einen Sinn zusammenreimen müssen, und die haben weder die Zeit noch die Mittel, das Echte von der offenkundigen Fälschung zu trennen. Die Welt ist zu weit gegangen – der Verstand der Menschen ist zu stark beansprucht worden –, und wir haben keine Ahnung, was den nächsten Wahnsinnigen auf den Plan rufen wird. Was machen Sie, wenn wir dieses neue Vorhaben ausführen und irgendein Spinner in den Staaten, der etwas gegen den Staat und die Konzerne hat – und von denen gibt es dort jede Menge –, ihn als Rechtfertigung benutzt, um wieder einmal ein Bürogebäude in die Luft zu sprengen? Oder etwas noch Größeres?« Ich hielt inne und schlug dann eine andere Tonart an, um das Gespräch von jener moralischen und politischen Dialektik wegzubringen, die er so meisterhaft beherrschte, und es stattdessen auf meine ganz reale Sorge um ihn und die anderen zu lenken: »Außerdem, was glauben Sie, wie lange Sie noch damit durchkommen? Sehen Sie sich an, wie knapp wir diesmal entkommen sind, und um welchen Preis. Sie müssen sich etwas anderes überlegen, so wird es nicht …«
    Ich brach ab, als ich sah, wie er langsam die Hand hob. »Schon gut«, sagte er mit von Trauer und Reue erstickter Stimme. »Schon gut, Gideon.« Endlich drehte er seinen Stuhl herum und ließ den Kopf sinken, bis sein Kinn fast auf der Brust lag. Als er wieder aufschaute, wollte er mir immer noch nicht in die Augen sehen; aber seine kummervolle Miene war ein Mitleid erregender Anblick. »Ich hätte alles getan, um zu verhindern, was Leon zugestoßen ist«, sagte er leise. »Aber jeder von uns kennt die Risiken.«
    »›Kennt die Risiken‹? Malcolm, das ist kein Krieg, um Himmels willen!«
    Ich starrte ihn an, und endlich begegneten diese hypnotischen, aber beunruhigenden blauen Augen meinem Blick. »Nein?«, sagte er. Er griff nach hinten zu den Krücken, die an die Stuhllehne geklemmt waren. »Sie meinen«, fuhr er fort, und seine Stimme wurde kräftiger, »dass man dem Problem mit dieser Methode nicht beikommt.« Er mühte sich auf die Beine, und obwohl ich ein stärkeres Bedürfnis denn je verspürte, ihm zu helfen, hielt ich mich erneut zurück. »Sie meinen, dass die Krankheit der Welt auf diese Weise nicht mehr zu kurieren ist. Na schön.« Er trat ein paar Schritte auf mich zu. »Welches Rezept würden Sie stattdessen verschreiben?«
    Auf dieser Ebene konnte ich einfach nicht mit ihm diskutieren. »Malcolm, hier geht es nicht um ›Krankheiten‹ und ›Rezepte‹. Die Zivilisation wird tun, was immer sie tun wird, und wenn Sie sich ihr weiterhin in den Weg stellen, werden Sie nur noch mehr Katastrophen verursachen. Vielleicht haben Sie Recht, vielleicht führt uns diese Informationsgesellschaft in ein finsteres Hightech-Mittelalter. Aber vielleicht auch nicht. Vielleicht verstehen wir sie bloß nicht. Vielleicht irrt sich Julien, und dies ist kein ›Schwellenmoment‹, und vielleicht haben Leute wie wir in einer wissenschaftlich fortgeschrittenen Pferdekutsche gesessen, als Gutenberg seine erste Bibel gedruckt hat, und geschrien: ›Das war’s! Jetzt ist alles aus!‹ Ich weiß es nicht. Aber der Punkt ist, Sie wissen es auch nicht. Wir wissen nur eins, nämlich dass man die Veränderung nicht aufhalten kann und dass man die Technologie nicht aufhalten wird. Nichts in der Vergangenheit lässt darauf schließen, dass das möglich ist.«
    Während ich sprach, drehte Malcolm sich mit schier unerträglicher Langsamkeit um und blickte wieder zu den

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