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Die Tage sind gezählt

Die Tage sind gezählt

Titel: Die Tage sind gezählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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bedeuten, Männer?« fragte der Kommandant.
    »Die Leute können Sie nicht hören, Kommandant. Sie haben sich die Ohren völlig mit Gras zugestopft. Ich werde Ihnen alles erklären …«
    Aber Serv kam nicht mehr dazu, denn im gleichen Moment stürmte die draußen versammelte Menge gegen das Abwehrfeld vor und begann einen ungeheuren Lärm zu produzieren. Schrilles Kreischen und rauhes Gebrüll stieg auf aus Tausenden von Kehlen, und vor den überraschten Augen des Kommandanten begann Serv wie ein Irrer damit, den Kopf zu schütteln und um sich zu schlagen. Die fünf Soldaten warfen sich auf ihn, hielten ihn fest und schleppten ihn weg. Der alte Mann verhielt sich wie ein Besessener, heulend und zähneknirschend, das Gesicht in grenzenloser Pein verzerrt. Jetzt trat die Bürgerwehr in Aktion. Strahlengewehre und Flammenwerfer richteten sich auf die heulende Menge, die sich schnell zurückzog, um sich in den umliegenden Hügeln zu zerstreuen. Die Stille kehrte zurück. Vorläufig.

    Serv wirkte um Jahre gealtert. Gelegentlich zuckte ein Muskel in seinem Gesicht. Sein Augenaufschlag war schreckhaft. Er stand vor dem Kommandanten, hinter ihm die fünf jungen Soldaten. Man hatte sein Gehör nur durch einen raschen ärztlichen Eingriff retten können.
    »Wann kamen sie dahinter?« wollte der Kommandant wissen.
    »Als das Unwetter begann. Während wir bewußtlos waren, müssen sie irgend etwas mit unserem Gehör gemacht haben. Es wurde dadurch viel schärfer. Wir konnten laute Geräusche nicht mehr ertragen.«
    »Der ärztliche Befund sagt aus, daß die Gehörgänge mit einem auf die Nerven wirkenden pflanzlichen Präparat behandelt wurden.«
    »Das vermutete ich ebenfalls.« Ein Lächeln huschte über Servs eingefallenes Gesicht. »Es ist typisch für die Afghanier. Sie ließen uns zurückgehen, weil wir selber die Bombe zur Explosion gebracht hätten, die wir in uns tragen. Sobald wir die Basis betreten hätten, brauchten sie nur noch Lärm zu erzeugen. Mit unseren Gewehren hätten wir uns zu Amokläufern entwickelt. Die Afghanier hätten gar nichts anderes mehr zu tun brauchen.«
    Wieder lächelte er. »Aber es war ihr Pech, daß wir durch das Unwetter dahinterkamen, was mit uns geschehen war.«
    Der Kommandant nickte. »Es wäre eine große Gefahr für die gesamte Basis geworden. Eine Gefahr, gegen die wir uns kaum hätten zur Wehr setzen können.«
    Und dann redete er wieder über die zahllosen anderen Gefahren, die auf Onyx herrschten und den »neuen Anfang« erschwerten. Serv hörte ihm überhaupt nicht mehr zu. Statt dessen blickte er an ihm vorbei und starrte träumerisch aus dem Fenster. Dort, wo vor kurzem noch ein grüner Hügel gewesen war, sah er den von Flammenwerfern verbrannten Boden. Die gesamte Basis wurde nun von Aluminium-Wachttürmen umgeben. Etwas weiter davor wurden Gräben ausgehoben, um einen Sturmangriff zu erschweren. Die Ähnlichkeit , dachte Serv, ist wirklich frappant.
    »Wir werden diesen stinkenden Afghaniern beibringen, daß mit uns nicht zu spaßen ist«, hörte er den Kommandanten sagen. »Wenn wir das nicht tun, werden sie uns in spätestens einem Monat auf der Nase herumtanzen.«
    Serv dachte: Dies wird eine zweite Erde werden. Aber ich habe nicht die Absicht, zum Zeugen ihres Aufbaus zu werden. Von neuen Anfängen dieser Art halte ich nichts. Ich werde mir im Wald eine Hütte bauen und wie ein Afghanier leben. Das ist es, was ich will. Sein Gesicht zuckte wieder.
    »Sie können nun gehen«, sagte der Kommandant. »Und Sie, Serv, ruhen sich ein bißchen aus.«
    »Sicher, Kommandant. Ich bitte um die Erlaubnis, die Basis verlassen zu dürfen.«
    »Erteilt. Aber daß Sie zurück sind, bevor wir den Schirm wieder einschalten. Und halten Sie die Augen offen, Mann!«
    Auch die grünen Hügel würden sich beizeiten in Asphalt und Beton verwandeln. Aber bis dahin würde noch einige Zeit vergehen. Sollte sich ein alter Mann nicht dort zur Ruhe setzen, wo es ihm gefiel? Dort, auf den grünen Hügeln …

    Übersetzt von Ronald M. Hahn

Max Dendermonde
Die Tage sind gezählt
    Wenigstens eins konnte man zum Vorteil der Krankheit sagen: Sie ging von Anfang bis zum Ende milde mit ihren Opfern um.
    Man schlief ein, das war alles. Schlief ein und erwachte nie wieder. Als die große Epidemie begann, hatte anfänglich jedermann mit Todesangst sein Bett gemieden. Man hatte titanengleich gegen den Schlaf gekämpft. Später hatte man herausgefunden, daß sich der letzte Schlaf mit den Symptomen

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