Die Tage sind gezählt
hinein und verriegelten die Außentür. Kaum hatte Calvin die Ankunft der Männer und der Frau registriert, als er das Fahrzeug auch schon in Bewegung setzte. Die nonCobs entledigten sich ihres Spezialanzugs. Die Frau atmete schwer, und sie setzten ihr eine Sauerstoffmaske auf, aus Angst, sie könne sterben. Nach einer Weile atmete sie ruhiger. Mit Höchstgeschwindigkeit raste der Graber zur Alphor zurück.
Evyn taumelte in den Hauptkontrollraum, teilweise aus eigener Kraft, teilweise von einem starken Sog gezogen, der durch die Korridore jagte. Sie entdeckte Vronc, der an der Steueranlage der Hauptschleuse stand, während seine Finger über die Tastatur tanzten.
Zwischen Vronc und ihr selbst befand sich eine Gruppe von Tierdienern, die versuchte, sich gegen die eiskalten und heulenden Winde zu schützen. Einige krochen über den Boden und wanden sich, als seien sie halb wahnsinnig vor Schmerzen. Andere schnappten nach Luft. Mit brennenden Augen starrte Evyn auf die riesige Luftschleuse, die sich immer weiter öffnete. Die Schleusenkammer hatten sie bereits einige Jahre zuvor demontiert. Der offenstehende Spalt wirkte wie ein Tor zur düstersten Finsternis.
Der Raaff wird kommen! kreischte ihr Bewußtsein in höchster Panik. Wenn wir die Hauptschleuse öffnen, entweicht nicht nur die Luft, sondern auch das Leben! Wieder war der weiße Fleck in ihrem Gehirn. Ach, Wahnsinn! Wie komme ich auf solch verrückte Ideen? Der Raaff existiert nicht, also kann er auch nicht hereinkommen! Er hat nie existiert. Wir haben ihn selbst erschaffen, um etwas bekämpfen zu können, das noch schrecklicher ist als der angekündigte Feind, etwas, das noch tödlicher war als ein ausgesponnener Alptraum.
Wie ein willenloser Zuschauer verfolgte sie das Geschehen, lustlos, teilnahmslos, als sei sie gar nicht davon betroffen.
Vroncs Finger tanzten über das Musifon. Farben sprühten wie ein Feuerwerk gegen die Wände, und seine Musik übertönte sogar das Heulen des Sturms, eine donnernde und doch schwermütige Weise, die sich endlos wiederholte und dabei immer lauter und wilder wurde. Die Farben wirkten wie wahnsinnig gemischte Spritzer.
Nachdem alle Geräusche in dem Pfeifen der ausströmenden Luft untergegangen waren, geschah etwas Seltsames. Die Töne des Musifons verstimmten. Der weiße Fleck in Evyns Gehirn raste an ihrer Schädeldecke entlang. Sie sträubte sich mit aller Macht gegen die zurückkehrenden Erinnerungen, aber es war ihr, als würde in ihrem Kopf plötzlich eine Tür in eine andere Dimension aufgestoßen.
Und aus dieser Dunkelheit kroch mit einem kalten Strom das hervor, was sie wußte .
Zum erstenmal nach all den Jahren wußte sie.
Die Tierdiener verblaßten, verschmolzen mit dem Boden, wurden zu durchsichtigen Gelatinepuppen und verschwanden im Nichts. Sie erinnerte sich an die vielen Jahre der Einsamkeit in der Stadt, in der sie sich in der aufgezwungenen Gesellschaft von sieben Menschen befunden hatte und in der nie etwas geschah. Sie erinnerte sich an ihr Entsetzen, als die Funkverbindung abbrach und ihnen bewußt wurde, daß sie hier den Rest ihres Lebens wurden zubringen müssen. Und sie erinnerte sich an die sensationelle Meldung, daß man diese bizarren Lebewesen entdeckt hatte, die primitiven Kreaturen mit dem unglaublichen Körperbau, die sich an die Bedingungen der Umwelt angepaßt hatten. Sie hatten sie die Augenlosen genannt. Sie erkannte nun auch die Melodie, die Vronc auf seinem Musifon zu spielen versuchte: Es war die Melodie, die die Augenlosen ständig sangen, seit sie in Gefangenschaft lebten. Es war eine Melodie, die so gefährlich und monoton war, daß sie ins Unterbewußtsein drang und die Menschen zur Selbstvernichtung motivierte. Sie erinnerte sich, wie Vronc und Claudan mit diesen Geschöpfen experimentiert hatten, so lange, bis sie ihren Körperbau änderten und in der Lage waren, die Luft im Inneren der Kuppel zu atmen. Schließlich hatten sie entdeckt, daß es zwischen den Augenlosen eine Art Kommunikation gab. Es war fast eine Form von Telepathie. Sie waren in der Lage, geistige Impulse in einer solchen Stärke sichtbar zu machen, daß man sie von der Realität nicht zu unterscheiden vermochte. Claudan hatte Impulse entworfen, die ein Wesen entstehen ließen, das sie »Raaff« tauften; später dann die Tierdiener. Am Anfang war alles ein spannendes Spiel gewesen, das die Langeweile vertrieb. Die Augenlosen hatten diese Impulse empfangen und projizierten sie; aber irgendwann war etwas
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