Die Tagebücher (German Edition)
nahelegt, dass Burton für die Tagebücher ein sehr beschränktes Publikum vorschwebte, zumindest zur Zeit der Abfassung und vielleicht für die absehbare Zukunft, so wirft es auch die Frage auf, warum er überhaupt Tagebuch führte. Die Antwort darauf schließt notwendigerweise die Tagebücher von 1940 und 1960 aus, die nicht Teil eines größeren Plans gewesen zu sein scheinen. Es finden sich aber kaum direkte Hinweise auf seine Absichten: Als Burton 1965 das Tagebuch beginnt, eröffnet er es nicht mit einem Ausblick oder einer Rechtfertigung. Womöglich gab es ja ein früheres Tagebuch, mit dem er 1964 begann, vielleicht nach seiner Heirat mit Taylor, aber dafür fehlen jegliche Anhaltspunkte. Statt sich erst Gründe zurechtzulegen, fing Burton also vielleicht einfach an zu schreiben. Eventuell war ihm selbst gar nicht so richtig klar, was er damit bezweckte.
Wenn man sich auf die Tagebuchjahre von 1965 bis 1972 beschränkt, könnte man argumentieren, dass sie nicht in der Absicht geführt wurden, im Rohzustand veröffentlicht zu werden. Sie wurden in relativ flüssigem Englisch verfasst (wenn auch mit Tippfehlern und überraschend willkürlichen Rechtschreibfehlern), sind im Wesentlichen frei von Abkürzungenund verschlüsselten Botschaften und folglich selten schwer zu enträtseln. Aber sie sind nicht in dem geschliffenen, sorgfältig gearbeiteten Stil von Burtons veröffentlichten Artikeln für Zeitungen und Magazine gehalten. Stattdessen lesen sie sich wie grobe Notizen, Ideen, Erinnerungen, ein täglicher Katalog von Menschen und Orten, Mahlzeiten und Unterhaltungen. Sie dienten als private Aufzeichnungen seines Lebens, als Gedächtnisstütze, auf die er vermutlich zu einem späteren, nicht näher umrissenen Zeitpunkt zurückzukommen plante.
Zu genau welchem Zweck er einmal darauf zurückgreifen würde, wird nirgends ausdrücklich erwähnt, doch scheint es, dass Burton das Tagebuchschreiben als eine gute Angewohnheit betrachtete, eine Korrektur seiner, wie er selbst es sah, latenten Faulheit, als Weg, um sich zu zwingen, »meine Gedanken in einer Art unaufgeräumter Ordnung« zu halten (9. Januar 1969). In solchen Kommentaren mag man ein Bewusstsein vom erlösenden Wert der Arbeit, eine Verbeugung vor dem protestantischen Arbeitsethos erkennen. Burton war kein Mensch, der mit seiner Persönlichkeit, seinen Leistungen und Aussichten zufrieden war. Er war ohne Zweifel ruhelos, überwiegend unzufrieden, maß sich an seinen Ambitionen und an den Leistungen anderer. Tagebuchschreiben war eine Art und Weise, dieses beständige Getriebensein, diese Sehnsucht nach Selbstverwirklichung und Vollendung festzuhalten.
Burton konnte sich auch abfällig über seine Schreibbemühungen äußern, wenn er von »idiotischen Einträgen« (13. November 1968) oder vom Journal als »dieses armselige Tagebuch« spricht (20. März 1969), das »erstaunlich langweilig« sei (15. Juni 1970). Manchmal hatte er Mühe, eine einzige Seite auf der Schreibmaschine zu füllen; an anderen Tagen quollen die Worte nur so aus ihm heraus. Wenn er sein Tagebuch unterbrach, lieferte er die Gründe gelegentlich nach: zu viel war geschehen (»Wie merkwürdig, dass ich es nicht aufschreibe, wenn die Dinge sich überschlagen« – 1. November 1969); »akute Unzufriedenheit« (20. März 1969); zu viel getrunken, zu lange geschlafen, Gefühl, nichts zu sagen zu haben, was der Aufzeichnung lohne (»wann immer ich in letzter Zeit mit dieser Schreibmaschine konfrontiert bin, fühle ich mich so schal wie ein Schluck Wasser« – 31. Mai 1970). Aber häufig wird für die Lücken keine Erklärung gegeben, und in den Tagebüchern ab 1975 findet sich überhaupt kein Kommentar mehr wie in der umfänglicheren Reihe von 1965 bis 1972.
Die einzige Bemerkung darüber in diesen späteren Jahren stammt aus einem Gespräch mit Dick Cavett in dessen Talkshow 1980. Zu seinen Tagebüchern befragt, erwiderte Burton: »Sie sind praktisch unlesbar … Ich hab gelegentlich mal wieder einen Blick hineingeworfen … aber in Wirklichkeit habe ich die letzten drei oder vier Jahre nur sporadisch Tagebuchgeschrieben.« Burton spricht dann davon, dass er gelegentlich Passagen aus dem Journal entnehme und ausarbeite, »die dann im Ladies’ Home Journal , in der Vogue , die Leute, die das meiste Geld bezahlen, im Cosmopolitan und solche Sachen erscheinen, aber nur sehr selten«. Als er einem guten Freund klagte, dass sich sein Schreibimpuls verflüchtigt habe (»zeitweise, wie ich
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