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Die Tarnkappe

Die Tarnkappe

Titel: Die Tarnkappe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orths
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der Kerl auch noch mit einem Mann in Hausmeisterkluft, der gerade ein Haus verließ, sie redeten, was reden die da? Noch vier Häuser entfernt, noch vier mickrige Häuser, und der Postbote stand dort und redete, mein Gott, jetzt lachte er auch noch, was gibt es da zu lachen? Sie reden vielleicht über die belanglosesten Dinge, während wir hier drinnen nicht aus noch ein wissen, endlich losstürmen wollen, sie reden vielleicht über ein Fußballspiel, über das Wetter, über Politik, über das Treffen ihres Kegelklubs. Zehn Minuten. Unermüdlich hatte Simon geraucht, die erste Packung war leer, lange würde er das nicht aushalten, er war kurz davor, die Nerven zu verlieren. Diese Filme, die das Geschehen unnötig hinauszögern, den Zuschauer quälen, bis die Spannung unerträglich wird, immer dasselbe Spiel: die Musik, die sich anwanzt und dem Zuschauer sagt, gleich finden sie die Leiche, aber anstatt sie zu finden, kommt erst das mühsame Durchsuchen der Wohnung, möglicherweise Schnitt, Rückblende, nichts als purer Sadismus des Regisseurs, cut to the chase , rief Simon innerlich, Schnitt zur Verfolgungsjagd, ich kann nicht mehr. Endlich, nach weiteren zehn Minuten, verabschiedete sich der Postbote vom Hausmeister und fand langsam zurück in die Arbeit, Haus Numme r 63, Haus Numme r 61, Haus Numme r 59, Haus Numme r 57, hier, schräg gegenüber. Simon erkannte den Umschlag sofort. Jetzt war auch der letzte Zweifel getilgt, dass es heute geschehen würde, die Entscheidung nicht mehr fern. Der Postbote klingelte. Niemand öffnete.
    »Verdammt!«, flüsterte Gregor. »Wir hätten reingehen sollen.«
    »Ich hab nicht gewuss t …«
    »Ich hab doch gesagt, wir sollten reingehen.«
    »Woher soll ich wissen, dass er keinen Schlüssel hat?«
    Der Postbote klingelte noch mal. Wenn keiner ihm öffnete, würde er die Briefe wieder einstecken. Ein drittes Klingeln.
    »Gib mir den Schlüssel!«, sagte Gregor.
    »Was?«
    »Ich lauf hin.«
    »Wart noch.«
    »Wenn er nicht reinkommt, nimmt er den Brief wieder mit.«
    In diesem Augenblick ertönte das Summen des Türöffners. Der Postbote rief sein Die Post! Danke! in die Sprechanlage und schob sich durch die Tür. Der Wagen blieb draußen. Simon und Gregor warteten. Eine Minute. Der Postbote kehrte zurück und setzte seinen Weg fort, der Brief lag jetzt in Miriams Kasten, Gregor und Simon stiegen aus, öffneten die Haustür, Simon ging vor, einmal um die Ecke, da hingen sie, die Briefkästen. Simon sah den Zipfel des Umschlags, konnte nicht an sich halten, er brauchte nicht mal den Schlüssel, sondern zupfte den Umschlag einfach heraus. Währenddessen machte Gregor in seinem Rücken eine zügige Bückbewegung, zog die Pistole aus dem Strumpf, jedoch genau in dem Augenblick, als die Zwischentür aufsprang und ein Nachbar erschien, mit zwei Mülltüten. Alle erstarrten drei Sekunden lang in ihren Positionen. Gregor verlor den Überblick, und Simon kam als Erster zu sich, sah die Waffe und schlug sie Gregor mit dem Luftpolsterbrief aus der Hand. Die Pistole schepperte zwei Meter weiter auf den Boden. Simon lief hin, hob sie auf und richtete sie auf Gregor. Dem Nachbarn fielen die Tüten aus der Hand, heraus quollen Essensreste, Kaffeefilter, Plastik, Papier. Gregor einfach über den Haufen schießen. Jetzt. Sofort. Dann ist es vorbei. Dann hab ich Ruhe. Kann gelassen zum Bahnhof schlendern und die Kappe holen. Abknallen. Jetzt. Hier. Vor den Augen des Nachbarn. Und dann los. Simon zögerte. Er tat es nicht. Der Nachbar war verschwunden, er würde in seine Wohnung eilen und die Polizei verständigen. »Wenn du nur einen Schritt machst, knall ich dich ab!«, sagte Simon, ließ Gregor stehen, rannte raus, drehte sich nicht um, wollte nur noch zur Kappe, lief Richtung Bahnhof, links neben ihm ein Müllauto, das Röhren, im Vorbeilaufen warf Simon die Pistole in den Schlund, sie wurde verspeist, der Wagen rülpste, die Müllmänner riefen He! , doch Simon rannte weiter, sein Atem überholte ihn, er lief hinter seinem eigenen Atem her, riss im Laufen den Luftpolsterumschlag auf, nahm den Schlüssel heraus, warf den Umschlag weg, klemmte den Schlüssel so fest in die Rechte, dass er ihn gar nicht mehr spürte vor Schmerz, und um nachzuschauen, ob der Schlüssel überhaupt noch da war, öffnete er die Hand, und der Schlüssel klirrte auf den Bürgersteig. Simon blieb stehen. Drehte sich um. Keuchte. Bückte sich. Hob ihn auf, den Schlüssel. Den einzigen, den wichtigsten Schlüssel seines

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