Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Verwandschaft aller Glaubensgemeinschaften. Mit einem Wunder brachte der Herr mich auf den rechten Weg zurück. Heißt es nicht schon im Codex Calixtinus, ›dass unter dem Glanz der Wunder des heiligen Jakobs Blinde ihr Augenlicht zurückbekommen und sich bei Stummen die Zunge löst‹? Wir sollten ein Gebet sprechen!«
»Lunettas Mutter war eine Hexe«, zischte Aleander, »genau wie ihre verstockte Tochter. Stumm? Sie hat nur so getan.«
»Hat sie vor dem Besuch dieser Messe unter der Folter nur einen Laut von sich gegeben?«
»Sie wurde nicht gefoltert, nur exorziert!«
»Zu einem Exorzismus gehören Nadelproben, nicht wahr? Man sucht die Handflächen einer Besessenen zu durchbohren, eine schmerzhafte Prozedur. Schrie sie?«
»Nein, aber sie war deine Schülerin, genau wie ihre Mutter! Soll ich dir vorlesen, was man über dich erzählt? Du kannst fliegen, heißt es, du kannst mehrere Wochen ohne Nahrung leben, du sollst schon über glühende Kohlen gelaufen sein ...«
Fadriques Lächeln nahm zu. »Glaubst du, dass ich fliegen kann, Aleander?«
»Du bist ein Sohn des Satans, das ist sicher!«
Fadrique wiegte bedächtig das Haupt. »Du hättest es einfacher, wenn ich nur ein geborener Jude wäre, nicht wahr?«
Eindringlich schaute er Aleander in die Augen, sein Blick spiegelte Mitleid. Der Dominikaner wich dem Blick aus. Tavera wunderte sich über Aleanders Schweigen. Endlich hob dieser den Kopf, er war blass und sah aus wie ein trotziger Delinquent, der erwartete, sein Todesurteil zu hören.
»Bist du ein Jude, Padre Fadrique?«
Der Padre schaute Aleander direkt ins Gesicht. Nach einer Weile seufzte er und schüttelte den Kopf. »Du kennst die einzig richtige Antwort. Ich kann es genauso wenig wie deine Mutter sein!«
Aleander nickte langsam. Fadrique drehte sich zum Fenster, dann begann er erneut: »Bleibt also die Frage, ob ich ein Sohn des Satans bin. Sind dir die Schriften des Bischofs Nikolaus von Cusanus bekannt? Ich hielt darüber einst eine Vorlesung.«
Aleander schwieg.
»Nun«, fuhr Fadrique fort, »der Bischof schrieb im Jahre 1457: Wer an die Wirksamkeit der Malefizien und Dämonen glaubt, befördert die Idee, dass der Teufel mächtiger als Gott ist. Das ist schlimmste Gotteslästerei!«
»Tatsächlich?«, warf Tavera überrascht ein. »Wie interessant.« Aleander beachtete ihn nicht. »Willst du damit sagen, dass ich der Ketzer von uns beiden bin?«
»Ich will damit sagen, dass alles Gerede von Hexen und der Macht des Teufels über menschliche Seelen nichts als heidnischer Aberglaube ist, wie schon die Kirchenväter bemerkten. Da jede Zauberei, erst recht das Fliegen, physikalisch unmöglich ist, muss man Menschen, die an derlei Spuk glauben, mit Nachsicht behandeln. So fordern es die alten Kirchenväter! Die spanische Inquisition lehnt daher eine ausführliche Beschäftigung mit der Hexerei ab.«
»Nicht mehr lange! Mein Orden nimmt das Problem sehr ernst. In Köln schrieb einer meiner Mitbrüder vor wenigen Jahren erst den Hexenhammer, eben komme ich aus Deutschland, und dort ...«
»Köln ist weit und der Papst bislang nicht gewillt, dem Hexenhammer seinen Segen zu geben. Im Gegenteil, in Rom disputiert man sogar über ein Ende der gesamten spanischen Inquisition.«
»Aber nicht über ein Ende der Ketzerverfolgung!«
»Sicher nicht, aber man hält es wieder mit Augustinus: Wir möchten die Ketzer verbessert haben, nicht getötet. Wir wünschen den Triumph der Kirchenzucht. Ich stimme dem zu, daher bekenne ich mich zu meinen Fehlern. Wir brauchen eine einzige, einige Kirche, geführt vom Stellvertreter Gottes auf Erden.«
»Gerede! Ihr elenden Hieronymiten werdet nicht triumphieren«, stieß Aleander bebend hervor. »Eure Lügen und Tricks werden bald durchschaut sein. Du wirst keinen Ketzer mehr schützen, Fadrique. Mit deinem Tod bricht die Stunde des Löwen an.«
Der Padre legte die Hände auf den Rücken. »Johannes Chrysostomos, der kein Hieronymit war, schrieb im Jahr vierhundert: Einen Ketzer zum Tod verurteilen ist ein Vergehen ohne mögliche Wiedergutmachung.«
»Chrysostomos war ein Patriarch der Ostkirche, er ist viele hundert Jahre tot.«
»Er bleibt einer der größten Prediger der Christenlehre. Man kennt ihn in Rom unter dem Beinamen Goldmund und hat ihn nicht vergessen. Seine Worte werden die Zeit überdauern, gleichgültig, was mit mir geschieht. Du kannst mich töten, aber keinen Gedanken.«
»Wie schreibt sich Chrysostomus?«, wollte der Sekretär
Weitere Kostenlose Bücher