Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
würde ihm – sollte er die Begegnung mit den Schweden überleben – den Rang und möglicherweiseauch den Kopf kosten. Also blieb nur einer übrig, nämlich Bahadur.
    Sergej musterte den jungen Tataren und fragte sich, ob der Junge das Zeug hatte, die Schweden zu überlisten. Sicher, Bahadur war intelligent und zeigte meist kühles Blut, doch es gehörte mehr dazu, einem Lybecker und seinen Offizieren einen Haufen Lügen glaubhaft aufzutischen. Die Schweden waren für ihre Foltermethoden berüchtigt, und er mochte sich nicht einmal vorstellen, was sie mit dem Jungen anstellen würden, wenn sie Verdacht schöpften. Andererseits hatte Bahadur sich bisher in jeder kritischen Situation bewährt, angefangen von der Sankt Nikofem, auf der er dem Zaren das Leben gerettet hatte, bis zu den Überfällen auf den schwedischen Heerwurm, und seine hochfahrende, verschlossene Art mochte auch einen Lybecker täuschen.
    Mit einem gequälten Lächeln wandte er sich dem Jungen zu. »Bahadur, ich muss mit dir reden.«
    Schirin blickte verwundert auf.
    »Wir können keinen weiteren Angriff auf Lybeckers Truppen wagen, sonst werden wir von seinen Flankenreitern geschlagen. Also müssen wir ihn auf andere Weise von Sankt Petersburg fern halten. Traust du dir zu, in das Lager der Schweden zu reiten und Lybecker eine falsche Botschaft zu überbringen?«
    Schirin erschrak. »Ich soll einfach so zu den Schweden reiten und ihnen einen Brief von dir bringen?«
    »Keinen Brief, sondern eine mündliche Botschaft, und auch nicht von mir, sondern von …« Sergej suchte nach einem glaubhaft klingenden Namen und begann zu grinsen, denn er erinnerte sich prompt an jenen kleinen Zirkel von mutmaßlichen Verschwörern, in deren Dunstkreis er in Moskau geraten war. Zwar war man niemals mehr an ihn herangetreten, aber er hatte sich die Namen der hochrangigeren Mitglieder gemerkt.
    Er fasste Bahadur bei den Schultern und zog ihn zu sich herum. »Hör mir jetzt gut zu, denn dein Leben wird davon abhängen, dassdu die Schweden überzeugen kannst! Wenn sie Verdacht schöpfen, werden sie dich foltern, um alle Informationen aus dir herauszuquetschen, und dich auf ihre berüchtigt grausame Weise zu Tode befördern.«
    Schirins Rückenmuskeln verkrampften sich so, dass ihr das Atmen wehtat, und sie hätte Sergejs Ansinnen am liebsten rundheraus abgelehnt. Aber da sie das Bild eines tatarischen Kriegers aufrechterhalten musste, der noch nicht einmal den Schejtan und seine gesamte Dschehenna fürchtete, blieb ihr nichts anderes übrig, als mit bleicher Miene zu nicken. »Was soll ich den Schweden erzählen?«
    Ihre Stimme klang so krächzend wie das Geschrei eines Raben, und sie nahm an, dass Sergej ihre Angst roch. Er nickte jedoch zufrieden und begann mit seinen Instruktionen. Schirin hörte ihm aufmerksam zu und wiederholte jede Anweisung und jeden Namen, den sie den Schweden nennen sollte, bis sie sicher war, auch noch im Halbschlaf die richtigen Antworten geben zu können. Sie ließ sich jeden der Männer mit seinen Eigenheiten beschreiben, so als hätte sie bei den russischen Gelagen aufmerksam dem Klatsch gelauscht, dem die Offiziere viel intensiver frönten als die Frauen ihres Stammes bei der großen Wäsche. »Jakowlew, Lopuchin, Kirilin«, flüsterte sie vor sich hin, als Sergej endete und sie auffordernd musterte. Jakowlew war ihr unbekannt, und auch Lopuchin hatte sie nur aus einer gewissen Distanz heraus erlebt, doch als sie Kirilin nannte, verzog sie das Gesicht. Ihm traute sie wirklich alles Schlechte zu.
    »Richtig! Der Schwedenkönig hat bestimmt genug Spione und Zuträger im Russischen Reich, und was diese nicht in Erfahrung bringen, melden die ausländischen Gesandten, die uns beobachten wie eine gefangene Fliege im Wodkaglas, an ihre Höfe weiter, und die werden gewiss schon von den Plänen jener Gruppe erfahren haben. Einige der westlichen Länder unterstützen die Schweden und lassen sie mit Sicherheit an ihrem Wissen teilhaben. Also muss Lybecker mindestens einen der Namen kennen, die ich dir genannt habe.«
    Sergej holte tief Luft und wiegte den Kopf, als müsse er seinen Plan noch einmal überdenken. »Lybeckers Leute dürfen dich natürlich nicht mit dem jungen Fähnrich in Verbindung bringen, der in meiner Truppe reitet. Du hast doch dein gesamtes Gepäck dabei?« Es war weniger eine Frage als eine Feststellung, denn Sergej wusste um das große Bündel, das Schirins Packpferd trug.
    Schirin nickte bejahend, auch wenn sie nicht ganz

Weitere Kostenlose Bücher