Die Tatarin
mit dem errungenen Erfolg, lobte er seine Männer und vergaß auch Bahadur nicht.
»Du hast mir ein weiteres Mal das Leben gerettet, mein Guter. Damit hast du bei mir einen dicken Stein im Brett.« Er hoffte, seine freundlichen Worte würden den Panzer des Jungen durchdringen, aber er erntete ein Achselzucken und wandte sich verärgert ab.
Er konnte nicht ahnen, wie viel Kraft es Schirin kostete, ihre scheinbar unbeteiligte Miene beizubehalten. Sie war Allah dankbar, weiles ihr gelungen war, Sergejs Leben zu bewahren, denn in ihren Augen war er der Einzige, der die Männer unter Kontrolle halten konnte, die meist wegen irgendwelcher Vergehen aus ihrem Stamm ausgestoßen worden waren und nichts zu verlieren hatten. Der Preis dafür aber schien ihr unerträglich hoch, denn sie hatte erneut Menschen töten müssen.
IV.
Der gelungene Überfall auf die schwedische Batterie stellte nur den Auftakt einer Reihe ähnlicher Attacken dar, die Sergej mit seinen Reitern in den nächsten Tagen unternahm. Sie kosteten den Feind noch weitere drei ihrer schweren Belagerungsgeschütze, mehrere Bagagewagen und über hundert Tote und Verletzte. Die Verluste zwangen General Lybecker dazu, seine Dragoner und mehrere Schwadronen schwerer Kavallerie als Flankenschutz abzustellen. Da die Reiter sich nun über sumpfigen Untergrund bewegten, verlor der Heereszug stark an Geschwindigkeit. Andererseits machte dieser Schachzug weitere Überfälle so gut wie unmöglich, denn Sergej musste jederzeit damit rechnen, dass seine Leute von den schwedischen Reitern in die Zange genommen wurden.
Nachdem sie ihren letzten Angriff erfolglos abgebrochen hatten und nur mit viel Glück den nachsetzenden Dragonern entkommen waren, wusste Sergej, dass er sich etwas anderes einfallen lassen musste. Bisher hatte er den Schweden nur Nadelstiche versetzt, sie aber nicht davon abgebracht, weiter auf Sankt Petersburg zu marschieren.
»Wenn es uns in den nächsten beiden Tagen nicht gelingt, das feindliche Heer aufzuhalten oder wenigstens von Sankt Petersburg wegzulocken, steht die Stadt kurz danach in Flammen«, sagte er am Abend der letzten erfolglosen Attacke zu Wanja und Bahadur, die mit ihm am Lagerfeuer saßen.
»Das wäre schade um all die schönen Häuser und den guten Wodka, den wir dort bekommen haben«, seufzte Wanja.
Schirin zog nur die Schultern hoch. Dies war nicht ihr Krieg, also musste sie sich keine Gedanken machen, wie er zu gewinnen war, abgesehen davon, dass sie sich auch nicht vorstellen konnte, wieman diese geballte Masse Soldaten mit ein paar Reitern aufhalten konnte.
Sergej schien es wenig zu stören, dass er die Unterhaltung fast alleine bestreiten musste, denn er dachte dabei angestrengt nach. »Man müsste Lybecker eine falsche Nachricht unterjubeln, die ihn annehmen lässt, man hätte ihm bei Sankt Petersburg eine Falle gestellt, in der er sein gesamtes Heer verlieren könnte.«
Wanja sah ihn erwartungsvoll an, während Schirin uninteressiert ins Feuer starrte. Sergej unterdrückte seinen Ärger über die Gleichgültigkeit, die der junge Tatar zur Schau trug, und versuchte, die vage Idee in einen Plan umzusetzen. Viele Kriegszüge scheiterten, weil die Generäle entscheidende Fehler machten, und zu einem solchen musste er Lybecker verleiten. Eine Weile lotete er seine Möglichkeiten aus. Das Beste wäre, den Schweden einen gefälschten Brief Apraxins oder besser noch des Zaren in die Hände zu spielen, aber dazu besaß er weder das richtige Schreibpapier noch die Siegel, die ein solches Schreiben erst echt aussehen ließen. Der einzige Weg, der ihm offen stand, um den Feind zu täuschen, war, einen Mann zu den Schweden zu schicken, der Lybecker eine glaubhafte Geschichte erzählte.
Sergej schüttelte im ersten Moment den Kopf, denn diese Idee erschien allzu aberwitzig. Führte er sie durch, würde er den Kopf des Boten höchstwahrscheinlich am nächsten Tag auf einer Stange aufgespießt finden. Andererseits aber war es die einzige Chance, den Untergang von Sankt Petersburg abzuwenden. Nur – wem würde Lybecker Glauben schenken? Einem seiner Steppenreiter gewiss nicht, das stand schon einmal fest. Wanja war nicht nervenstark genug und auch nicht der Mensch, den ein Verräter höheren Ranges zu einem feindlichen General schicken würde, und wenn er selbst ging, war niemand mehr da, der diese disziplinlose Horde von Steppenkriegern im Zaum hielt, die Kerle würden ihre Beute nehmen und marodierend nach Süden reiten. Das aber
Weitere Kostenlose Bücher