Die Tatarin
sie eine Stelle mit trockenem Moos fand. Erleichtert kniete sie nieder, löste einige der Moospolster und streifte Laub und Erde davon ab, ehe sie das Ganze unter ihren Kaftan steckte. Als sie genug gesammelt hatte, wollte sie wieder zum Heereszug zurück, spürte aber mit einem Mal, dass ihr Körper sich tatsächlich erleichtern wollte. Sie blickte sich prüfend um und sah nicht allzu weit entfernt ein ganzes Rudel Schweden stehen, die laut miteinander schwätzend Wasser ließen. Da es ihr zu gefährlich war, in ihrer Nähe zu bleiben, drang sie noch ein Stück weiter in den Wald ein und verfluchte die Tatsache, dass sich zwischen den Birkenstämmen kaum Unterholz gebildet hatte. Endlich fand sie eine Stelle, die ihr halbwegs geeignet schien, und löste erleichtert die Schnur, die ihre Hose um die Taille festhielt.
Der Lärm, der den Heereszug begleitete, schluckte die einzelnen Geräusche, und so ahnte sie nicht, dass ihr Wächter nervös geworden war und den Tataren mit vorgehaltener Muskete suchte. Als der Mann den blauen, inzwischen stark verschmutzten Kaftan zwischen dem Grün entdeckte, atmete er auf und schlich noch näher. Mit einem Mal zwinkerte er verblüfft, starrte auf den Unterleib des Tataren und stieß dann ein wohliges Schnauben aus. Nach einigen raschen Schritten baute er sich vor seinem Opfer auf und spannte den Hahn seiner Muskete. »Steh auf und lass die Hose unten! Ich will mir doch mal ganz von nahem anschauen, wie du zwischen den Beinen aussiehst.«
Schirins Magen zog sich bei den Worten zu einem kalten Klumpen zusammen, und sie verfluchte sich, dass sie nicht auf die Nacht gewartet hatte. Der Blick des Mannes, der sich gierig an ihrem Unterleibfestsaugte, machte ihr klar, was jetzt folgen würde, und sie suchte verzweifelt einen Ausweg. Wenn sie jetzt aufsprang und loslief, würde sie wegen der herabgelassenen Hose nicht weit kommen, und selbst wenn es ihr gelang, den Schweden abzuschütteln, nützte ihr das gar nichts. Sobald einer ihr Geheimnis kannte, erfuhren es alle, und sie wusste, was dann folgen würde. Die Schweden würden sie zu Dutzenden vergewaltigen und dann töten, denn König Carl duldete keine Frauen bei seinem Heer und hatte deswegen verboten, Trosshuren mitzunehmen. Nur der schnelle Tod dieses Mannes würde sie vor Demütigung und einem langsamen, schmerzhaften Ende bewahren – oder ihr eigener. Schirin starrte auf den Lauf der Muskete, die jederzeit Blei ausspucken konnte, und fragte sich, welche Chance sie mit ihrem Säbel gegen ihn hatte. Keine, solange er auf mich zielt, schoss es ihr durch den Kopf. Doch wenn er mich anfassen will, muss er die Waffe weglegen, und dann ist er tot.
Der Mann schien ihr die Gedanken von der Stirn ablesen zu können. »Zieh deinen Säbel aus der Scheide, und wirf ihn weit weg, und deinen Dolch ebenfalls!«
Der Schwede bekräftigte seine Worte mit unverkennbaren Gesten, trat noch einen Schritt näher und setzte ihr die Mündung seines Gewehrs auf die Stirn. Jetzt ist es aus, dachte sie und überlegte kurz, ob der Tod durch eine Kugel nicht allem anderen vorzuziehen sei. In dem Moment stieß der Mann, dem ihr Zögern wohl zu lange dauerte, sie zu Boden und setzte ihr die Mündung seiner Waffe auf die Brust. Gleichzeitig trat er mit einem Fuß auf ihren Oberschenkel, um sie am Boden festzunageln, und holte mit der anderen Hand sein Glied aus der Hose. Dann bückte er sich, um ihr den Säbel aus der Scheide zu ziehen. Als er sich aufrichtete und die Waffe wegschleuderte, knallten plötzlich Schüsse. Schreie gellten auf, Männer fluchten, und irgendwo wieherte durchdringend ein Pferd.
Der Schwede sah sich wild um und schien nicht zu wissen, ob er weitermachen oder das Weib loslassen und zum Zug zurücklaufensollte. Ehe er sich entscheiden konnte, erklangen ganz in seiner Nähe weitere Schüsse, und sein Gesicht verzerrte sich. Schirin sah, wie er den Mund öffnete, als wolle er einen Schrei ausstoßen. Er brachte jedoch nur noch ein ersticktes Röcheln heraus, drehte sich halb und kippte um, so dass er mit dem Rücken auf sie fiel. Sie spürte, dass er sich nicht mehr rührte, und hob den Kopf, um sich umzusehen. Dabei entdeckte sie, dass seine Brust rot war vor Blut. Eine Kugel musste ihn direkt ins Herz getroffen haben.
Kosaken und russische Soldaten stürmten an ihr vorbei auf die Schweden zu und schossen, was ihre Musketen und Karabiner hergaben. Keiner von ihnen schenkte dem Toten, der auf dem Waldboden lag, einen zweiten Blick, und
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