Die Tatarin
gemacht!«, schien er sagen zu wollen und legte den Verband wieder an. Dann reichte er Schirin ein Beutelchen mit einem Pulver, das seinen Handbewegungen zufolge das Wundfieber vertreiben und die Heilung beschleunigen sollte. Als sie es entgegennahm, hob er ihren Kaftan auf, zeigte auf die Blutflecken und machte eine Bewegung, als wolle er ihn waschen.
Schirin hatte den größten Teil ihrer Kleidung bei Sergejs Leuten zurückgelassen und besaß nichts mehr zum Wechseln, daher nahm sie das Angebot dankend an. Bödr schenkte ihr ein Lächeln, das sie für einen Augenblick befürchten ließ, er habe sie durchschaut. Aber dann schüttelte sie den Kopf. Bisher hatte der Stumme mit keiner Handbewegung angedeutet, sie könne eine Frau sein, und wenn er es wirklich vermutete, so war ihr Geheimnis bei ihm sicher. Ihr Blick folgte ihm, bis er zwischen den Wagen verschwand, dann stand sie auf und schlenderte in die Richtung, in der sie Goldfell wusste. Der Hengst begrüßte sie in Erwartung eines scharfen Ritts, schnupperte dann und berührte mit seinem weichen Maul sanft ihren Arm. »Das wird schon wieder«, schien sein Schnauben ihr sagen zu wollen.
X.
Die Attacken der Russen waren störend, aber zu kraftlos, um den Vormarsch Carls XII. aufhalten zu können, daher erreichten sie nur, dass der schwedische König seine Soldaten immer schneller vorrücken ließ. Es war deutlich zu erkennen, dass er die entscheidende Schlacht suchte. Bisher aber hatte Zar Peter sich dieser Konfrontation geschickt entziehen können, und Schirin, die ihn besser kannte als Carl XII., glaubte auch nicht, dass Pjotr Alexejewitsch sich seinem Gegner stellen würde, denn sonst hätte er das Land nicht auf Hunderte von Werst verwüsten brauchen.
Sie war nicht die einzige Verletzte im Heer, vermied aber im Gegensatz zu den Schweden und den deutschen Söldnern, die König Carl in Sachsen anwerben oder hatte zwangsverpflichten lassen, die Armeeärzte aufzusuchen. Bödrs sibirische Heilkunst reichte ihr vollkommen, sein Pulver hielt tatsächlich das gefährliche Wundfieber fern, und die Salbe, die er auftrug, als die Wundränder sich geschlossen hatten, verhinderte eine zu starke Narbenbildung. Sie war Frau genug, um ihm dafür dankbar zu sein, und behandelte den Kalmücken viel freundlicher als früher.
Nach einer kühlen, feuchten Nacht erwachte Schirin eine Weile vor der Morgendämmerung und wollte schon versuchen, wieder einzuschlafen. Dann aber spürte sie ihre Blase und beschloss, die nächtliche Ruhe im Lager zu nutzen, um sich zu erleichtern. Kurz entschlossen streifte sie ihre Decke ab und glitt durch den Zeltschlitz ins Freie. Der dichte Nebel, der mit dem herannahenden Tag aufgestiegen war, erleichterte ihr Vorhaben.
Sie war gerade dabei, ihre Hose wieder festzubinden, als aus der Ferne heftiger Schusswechsel zu hören war. Die Schweden quollen aus ihren Zelten, die meisten nur halb bekleidet und einige sogar nackt, undgriffen zu ihren Waffen. Carl XII. stürmte mit seinem langen Pallasch in der Hand keine zwei Schritte von ihr entfernt vorbei und fragte General Rehnskjöld mit scharfer Stimme, was denn los sei.
»Wir haben noch keine Informationen vorliegen, Euer Majestät, doch ich befürchte, unsere Vorhut unter Roos wird angegriffen.«
Über das Gesicht Carls XII. zuckte es wie ein Blitz. »Die russische Ratte wagt sich also doch aus ihrem Loch heraus. Das soll sie bereuen. Lasst Alarm blasen, Rehnskjöld, und dann in die Sättel mit Euren Kürassieren. Unterstützt Roos’ Truppen, und räumt mit dem Kosakengesindel auf!«
Rehnskjöld salutierte und verschwand. Kurz darauf gellten die Signalhörner auf, und die Trommelbuben schlugen auf ihre Pauken, um auch noch den letzten Schweden zu den Waffen zu rufen. Schirin achtete weniger auf die Kampfvorbereitungen als auf den König, der immer noch in ihrer Nähe stand. Er zitterte förmlich vor Erregung und sah so aus, als würde er am liebsten auf sein Pferd springen, um so rasch wie möglich an den Feind zu kommen. Sein Minister Piper schien es nicht so eilig zu haben, denn er trat auf Carl XII. zu und zupfte ihn am Ärmel.
»Euer Majestät, Euer Frühstück wartet.«
Der König maß Piper mit einem Blick, als hielte er ihn für schwachsinnig, gab mit knirschender Stimme den Befehl, Verstärkungen nach vorne zu werfen, und schwang sich in den Sattel, ohne seinen Minister eines Wortes zu würdigen.
Für die Zurückgebliebenen begann eine Zeit des Wartens. Eine Zeit lang waren noch
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