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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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übermächtigen und von keinem Hindernis zu bremsenden Feind im Gesicht.
    Sein Freund Tirenko schüttelte sich. »Dieses Heer werden wir niemals besiegen können. Vielleicht schaffen wir es, noch die eine oderandere Bataille gegen einen von Carls Generälen zu gewinnen, aber die Schlacht gegen ihn selbst werden wir verlieren!«
    Sergej fuhr auf. »Haltet gefälligst eure Schandmäuler! Russland hat bis jetzt noch jeden Feind überstanden und wird auch den Untergang der Schweden erleben!«
    Raskin und Tirenko sahen sich kurz an, und ihre Mienen drückten das Gleiche aus: Sergej war von den Schweden besessen.
    In dem Moment lenkte Kitzaq sein Pferd neben Sergejs Moschka und deutete aufgeregt nach vorne. »Dort reitet Sch … Bahadur!«
    »Wo?«, fragte Sergej und richtete sein Fernrohr mit zitternder Hand auf die Stelle, die Kitzaq ihm wies. Dann sah er ihn beinahe so deutlich, als stünde der Junge vor ihm.
    Bahadurs Gesicht wirkte schmaler als früher und so abgehärmt, als nage ein geheimer Kummer an ihm. Sein Kaftan war schmutzig, und ein Loch im Ärmel, das von einem dunklen Rand umgeben war, ließ vermuten, dass er bei einem der letzten Scharmützel verwundet worden war. Plötzlich wandte er den Kopf, als blicke er direkt in das Fernrohr, und hob seinen Arm wie zum Gruß. Dann aber sank er in sich zusammen und krampfte seine Hände um Goldfells Zügel.
    Sergej wandte sich mit einer heftigen Bewegung an Kitzaq. »Glaubst du, wir hätten eine Chance, Bahadur in der Nacht aus dem schwedischen Lager herauszuholen?«
    Der Tatar schüttelte den Kopf. »Nein, das ist unmöglich. Das da drüben sind nicht Lybeckers vor Überheblichkeit strotzende Truppen, sondern Soldaten, die bereits den ersten Biss des russischen Bären gespürt haben. Sie werden besser Acht geben als die Wachen im Norden, schon weil die Augen ihres Königs auf ihnen ruhen.«
    Sergej war klar, dass Kitzaq Recht hatte, und doch strebte alles in ihm danach, Bahadur von den Schweden wegzuholen. Dabei konnte er nicht einmal sicher sein, dass der Junge befreit werden wollte, und er selbst würde sich durch eine solche Aktion nichts als Ärger einhandeln. Dazu kam, dass der einbrechende Winter einen heimlichenRitt nach Sibirien unmöglich machte. Spätestens dann, wenn Bahadur Unterkunft suchte oder etwas zu essen kaufen wollte, würde man ihn einfangen und zurückbringen. Wie Sergej es auch drehte und wendete, derzeit war es für den Jungen auf alle Fälle besser, bei den Schweden zu bleiben.
    »Hast du dir die Kosaken angesehen, die sich dort sammeln, Sergej Wassiljewitsch?« Wanjas Stimme brachte Sergej wieder in die Gegenwart zurück, und er schwenkte das Fernrohr, bis es auf die Reiter zeigte, die sich deutlich von den schwedischen Dragonern abhoben. Es handelte sich um ukrainische Kosaken und einige Saporoger. Ihr Anführer kam Sergej bekannt vor. Er hatte Iwan Masepa vor etlichen Jahren gesehen und erkannte dessen markantes Gesicht auf Anhieb wieder. Für einen Augenblick fühlte er eine kalte Faust, die sich um sein Herz schloss, und er wankte so stark im Sattel, dass er das Fernrohr sinken lassen musste.
    Masepa hatte den Zar verraten und hielt zu den Schweden! Damit war der Untergang des Russischen Reiches so gut wie besiegelt. Der Hetman galt als einer der treuesten Gefolgsleute Pjotr Alexejewitschs und war von ihm mit mehr Ehren und Würden überschüttet worden als jeder andere Provinzfürst. Der Zar hatte ihn sogar gegen seine Feinde unterstützt und erst letztens einen Kosaken, der Masepa als Verräter angeklagt hatte, in Fesseln zu ihm geschickt. Das Ende des Mannes war den Gerüchten nach grausam gewesen, und Sergej empfand nun ein Gefühl der Bitterkeit. Der Tote war, wie sich nun herausstellte, in Wahrheit ein treuer Diener des Zaren gewesen, während Masepa trotz all seiner Ergebenheitsbekundungen bereits Verrat im Sinn gehabt hatte.
    »Möge der Kerl in der Hölle schmoren!«, fluchte er, während er Masepa mit brennenden Augen betrachtete. In dem Moment sah er, wie der Hetman mit wütender Miene und heftigen Gesten Befehle gab, die ihm und seinen Leuten gelten mussten. Er verkniff sich den Wunsch, einen letzten Blick auf Bahadur zu werfen, setzte das Fernrohr ab und steckte es eilends in die Satteltasche.
    »Zum Rückzug, Leute! Wenn ihr nicht wollt, dass diese verräterischen Hunde uns kriegen, müssen wir schnell sein.«
    Er zog Moschka herum und gab ihm die Sporen. Kitzaq war sofort an seiner Seite. Den Zügel in der Linken

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