Die Tatarin
Erfolg brüstete.
»Sergej Wassiljewitsch! Was für eine Freude, dich zu treffen. Weißt du schon, dass ich den jungen Tataren erwischt habe, den du damals von Karasuk aus mitgenommen hast und der dir später abhanden kam? Väterchen Zar wollte ihn auf der Stelle aufhängen lassen, hat aber dann entschieden, den Kerl gemeinsam mit dem restlichen Verrätergesindel zur Hölle zu schicken.«
Sergej presste seine Fäuste mit aller Kraft gegen die Oberschenkel, damit sie sich nicht in Schobrins Gesicht verirrten. Er kratzte den Rest an Selbstbeherrschung zusammen, den er noch besaß. »Bist du dir sicher, dass es mein Tatar ist?«
Schobrin nickte eifrig. »Freilich! Väterchen Pjotr Alexejewitsch hat ihn ja auch gleich erkannt. Dieser Fang wird mir bei meinem weiteren Fortkommen gewiss hilfreich sein. Wer weiß, vielleicht bin ich nach der Schlacht mit den Schweden bereits Oberst.«
Schobrin gab sich ganz dieser angenehmen Vorstellung hin, während Sergej seine Gefühle nur mit Mühe beherrschen konnte. Sein Zorn galt ebenso Schobrin und dem Zaren wie auch Bahadur, der sich wie ein entlaufenes Schaf hatte einfangen lassen. Gleichzeitig stellte er sich die Frage, weshalb der Bursche zu den Russen zurückgekehrt war. Hatte er gehofft, sich mit ihm aussöhnen zu können?
Mit einem Mal wusste Sergej, was er zu tun hatte. Er drehte Schobrin, der eben Stepan Raskin und Tirenko von seinem Erfolg berichtete, den Rücken zu und ging zu den Pferden. Unterwegs winkte er seinen Wachtmeister zu sich.
»Wanja, bitte übernimm du mit Kitzaq die Truppe.«
»Ihr wollt zu Bahadur, stimmt’s?«, antwortete der brave Kerl und sah dabei selbst so aus, als wolle er sich in den Sattel werfen und Sergej begleiten. Da jedoch weder Raskin noch Tirenko Männer waren, die mit den Steppenreitern fertig werden konnten, blieb er aufseufzend zurück.
Als Sergej bei Moschka ankam, war sein Wallach bereits gesattelt, und neben ihm stand Kitzaq, der gerade die Satteltaschen auf seinem kurzbeinigen Steppenhengst befestigte. Sergej stemmte die Arme in die Hüften und wollte gerade fragen, was der Tatar sich dabei gedacht hatte, doch dieser lächelte ihn nur freudlos an. »In der Nacht ist es nicht gut, allein zu reiten!«
Sergej wollte Kitzaq im ersten Augenblick verbieten, mit ihm zu kommen, doch dann wurde ihm klar, dass Bahadurs Schicksal dem Mann ebenfalls an die Nieren gehen musste und er jeden Verbündeten brauchen konnte. »Also gut, komm mit! Es ist besser, bei diesem Ritt jemand neben sich zu haben.«
Das war das Gegenteil von dem, was er wirklich empfand, aber er wollte Bahadurs Verwandten nicht zurückstoßen. Kitzaq schien zu wissen, wie es in ihm aussah, denn als sie kurz darauf die Straße entlangtrabten, die zum Hauptlager der Armee führte, hielt der Tatar sich ein ganzes Stück hinter ihm, so dass Sergej sich unter dem sternenerfüllten Himmelszelt so allein fühlen konnte, wie er es sich wünschte. Auch Kitzaq war nicht nach Reden zumute, denn ihm ging Schirins Schicksal so nah, als sähe er selbst seiner Hinrichtung entgegen. Während der Hauptmann sich immer noch die Schuld an Bahadurs überstürzter Flucht gab und sich in einen Strudel von Selbstvorwürfen stürzte, biss Kitzaq sich die Lippen blutig. Schirin mochte so mutig sein wie keine zweite Vertreterin ihres Geschlechts,doch sie war und blieb ein Weib, das weniger nach dem Verstand handelte, sondern danach, was ihr das Herz eingab. Bis jetzt war sie damit durchgekommen, doch nun hatten ihre Gefühle sie ins Verderben geführt.
Beim ersten Tageslicht erreichten sie die Vorposten des Lagers. Ein Grenadier des Semjonowski-Regiments rief sie an und forderte ihnen die Parole ab.
»Für Russland und den Zaren«, antwortete Sergej. Der andere hob den drohend gesenkten Lauf seiner Muskete wieder und nahm Haltung an.
»Ihr könnt passieren, Väterchen Hauptmann!«
Sergej nickte ihm kurz zu und lenkte seinen Wallach in das Gewirr der Lagergassen. Die Armee hatte hier nur ein vorläufiges Lager aufgeschlagen, um jederzeit aufbrechen und weiter auf den Feind marschieren zu können, der kaum mehr als einen Tagesmarsch entfernt das Städtchen Poltawa belagerte.
Fragende Blicke trafen Sergej. Viele Soldaten und Offiziere wussten, dass er schon öfter mit wichtigen Nachrichten zum Zaren gekommen war, und nahmen an, dass es auch diesmal so sei. Der Dragonerhauptmann Wojtschinsky, der mit ihm in Sibirien gekämpft hatte und nun neben seiner eigenen auch Sergejs Kompanie kommandierte,
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