Die Tatarin
machte einen Schritt nach vorne, um ihn zu fragen. Das wie eingefroren wirkende Gesicht seines Kameraden ließ ihn jedoch zurückprallen.
»Das sieht nach keiner guten Nachricht aus!«, raunte Wojtschinsky seinem Stellvertreter zu, einem jungen Burschen bäuerlicher Herkunft, der die Wendung des Schicksals, die ihn mit den Epauletten eines Leutnants versehen hatte, immer noch nicht fassen konnte.
»Ihr habt gewiss Recht, Andrej Bogomirowitsch!« Das war die Antwort, die Wojtschinsky praktisch immer zu hören bekam, wenn er etwas zu seinem Untergebenen sagte. So einer soll eine Kompanie führen, dachte der Hauptmann seufzend und hoffte, Sergej würde noch vor der Schlacht wieder zu den Rijasanski-Dragonernüberstellt. Mit ihm an seiner Seite würde er sich sicherer fühlen als mit diesem tumben Iwan Iwanowitsch.
Unterdessen hatte Sergej das Zelt des Zaren erreicht und schwang sich aus dem Sattel. Einer der Adjutanten stach auf ihn zu, doch bevor er auch nur eine Frage stellen konnte, klang Sergejs gepresste Stimme auf. »Ich muss dringend mit Seiner Majestät sprechen!«
»Die Schweden?«, entfuhr es dem Mann.
Sergej schüttelte den Kopf. »Nein, es geht um etwas anderes.«
»Um was?«, klang in diesem Moment die leicht verärgert klingende Stimme des Zaren auf. Pjotr Alexejewitsch streckte den Kopf zum Zelteingang heraus, das Kinn halb rasiert und noch voller Schaum. In der Hand hielt er sein Rasiermesser und zeigte damit auf Sergej. »Komm herein, Tarlow!«
Sergej schlüpfte aufatmend an dem Adjutanten vorbei und folgte dem Zaren ins Zelt. Während dieser sich wieder vor den kleinen Spiegel stellte, der von einer Zeltstrebe herabhing, und weiter seinen Bart abschabte, rang Sergej verzweifelt nach Worten.
»Was hast du zu sagen, Tarlow? Mach schnell, denn ich habe nicht alle Zeit der Welt!«
»Euer Majestät, es geht um Bahadur. Ich hörte, er sei gefangen worden«, stieß Sergej atemlos hervor.
Der Zar verzog zufrieden die Mundwinkel. »Das stimmt. Wir haben diesen Verräter gefangen und werden ihn hängen«, klang es sehr zufrieden zurück.
Sergej ballte seine Hände abwechselnd zu Fäusten und spreizte sie dann wieder. »Euer Majestät, ich bitte zu bedenken, dass Bahadur Kirilin gewiss nicht deswegen folgte, um Verrat zu üben, sondern weil ich ihn beleidigt hatte. Er ist ein Sohn der Steppe und lebt nach anderen Gesetzen als wir. Ich habe ihn geschlagen, und das war in seinen Augen unverzeihlich.«
»Wäre er ein aufrechter Kerl, hätte er dir den Schlag doppelt zurückgegeben, und damit wäre es ausgestanden gewesen. Stattdessen ist er zusammen mit anderen mir schon bekannten Verrätern zu denSchweden desertiert. Das ist unverzeihlich!« Die Stimme des Zaren klang so, als stünde er kurz vor einem Wutausbruch, aber Sergej achtete nicht darauf, sondern hob seine Stimme.
»Euer Majestät, Bahadur hat auf der Sankt Nikofem Euer Leben gerettet. Zählt dies nichts?«
Der Zar zuckte unter dem scharfen Tonfall zusammen und stieß im nächsten Moment einen wüsten Fluch aus. »Verfluchter Hund! Deinetwegen habe ich mich geschnitten!« Wütend feuerte er das Rasiermesser durch das Zelt und suchte nach etwas, mit dem er die Blutung stillen konnte. Sergej entdeckte auf der anderen Seite des Zeltes einen Tisch, auf dem ein sauberes Tuch lag, eilte hin und reichte es dem Zaren.
Pjotr Alexejewitsch riss es ihm aus der Hand. »Verschwinde jetzt, du Narr, bevor ich dich neben diesem tatarischen Verräter aufknüpfen lasse!«
Sergej spürte, dass diese Drohung ernst gemeint war, und musste an sich halten. Es half Bahadur nicht, wenn er jetzt den Zaren aller Russen anschrie wie einen Herbergsknecht, der vergessen hatte, ihm die Stiefel zu säubern, oder gar auf ihn einschlug. Voller Grimm im Herzen drehte er sich auf dem Absatz um und stürmte zum Zelt hinaus, ohne zu salutieren oder wenigstens zu grüßen.
Kitzaq stand wie ein Schatten neben den Pferden und warf nur einen kurzen Blick auf Sergejs Gesicht. Der Hauptmann musste ihm nicht sagen, wie sein Gespräch mit dem Zaren verlaufen war, denn Pjotr Alexejewitsch hatte seiner Stimme keine Zügel angelegt. Auch die Wachen vor dem Zelt und einige Offiziere hatten den Wutausbruch des Zaren gehört, und Sergej fand sich im Mittelpunkt etlicher spöttischer Blicke wieder. Einige Männer, die seinen vertrauten Umgang mit dem Zaren und Menschikow voller Neid beobachtet hatten, schienen sich darüber zu freuen, dass er den Zorn des unberechenbaren Herrschers auf sich
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