Die Tatarin
gestört fühlt. Jetzt aber kniff er die Augenlider zusammen und sah dem Wagen nach, der nun um einiges langsamer durch die Zeltreihen fuhr. Wanja, der an langen Sommerabenden am Lagerfeuer von allem nur Denkbaren redete, hatte berichtet, dass eine Vertraute der heimlichen Zarin, wie Jekaterina von den Soldaten genannt wurde, ein auffälliges Interesse an Bahadur gezeigt hätte. Noch wusste er nicht, wie er dieses Wissen verwenden konnte, doch er stand auf und folgte der Kutsche, um zu sehen, ob sich die von Wanja beschriebene Dame darin aufhielt.
Kitzaq wurde nicht enttäuscht. Kaum hatte der Kutscher seine Pferde vor dem Zelt des Zaren gezügelt, wurde der Wagenschlag geöffnet, und eine nicht mehr junge Frau in einem dunklen Kleid sprang heraus. Jekaterina folgte ihr etwas langsamer und wirkte äußerst besorgt. »Marfa Alexejewna, lass mich zuerst mit Pjotr sprechen. Ich kann gewiss mehr für Bahadur bewirken als du!«
In dem Augenblick drehte Marfa sich um und zeigte Kitzaq ihr Gesicht. Der Tatar rieb sich verblüfft die Augen, denn die Ähnlichkeit der Frau mit Schirins Mutter war so groß, dass er für einen Moment glaubte, die Tote vor sich zu sehen. Dann aber erkannte er die Unterschiede. Wohl sah diese Marfa der Sklavin Natalja verblüffend ähnlich, doch schon die stolzere, freiere Haltung unterschied sie von jener.
Während Kitzaq noch verwundert den Kopf schüttelte, trat einer der Adjutanten des Zaren zu Jekaterina und salutierte. »Verzeiht, Mütterchen, dass ich Zeuge Eures Gesprächs mit Marfa Alexejewna wurde. Aber ich halte es nicht für gut, wenn Ihr unser gutes Väterchen, den Zaren, auf den Tataren ansprecht. Hauptmann Tarlow hat das heute Morgen schon getan und unser Väterchen damit sehr erzürnt.«
Die Stimme des Mannes klang gepresst, denn in seiner Position war es nicht ungefährlich, einer Frau wie Jekaterina etwas ausreden zu wollen. Aber seine Angst vor dem Jähzorn des Zaren war noch größer, hatte er dessen Hassausbrüche auf Bahadur und die anderen Verräter doch hautnah miterlebt.
»Bitte, tut es nicht, Mütterchen. Selbst ein Erzengel Gottes könnte den jungen Tataren nicht mehr retten, glaubt mir!«, flehte er Jekaterina an.
Marfa Alexejewna klammerte sich an ihre Freundin. »Ich will nicht, dass Bahadur stirbt. Er ist doch mein Ne … – er ist noch so jung!«
Jekaterina legte ihren linken Arm um Marfas Schulter und strich ihr mit der Rechten über das Haar. »Jetzt beruhige dich, Mütterchen. Solange der Kampf mit den Schweden bevorsteht, wird nicht mit Pjotr Alexejewitsch zu reden sein. Doch sobald der Sieg errungen ist, dürfte er sich gewiss als gnädiger erweisen.« Ihre Stimme verriet allerdings, dass sie wenig Hoffnung hegte, denn in einigen Dingen versagte ihr Einfluss auf Pjotr Alexejewitsch, der störrischer sein konnte als ein Maultier und sehr, sehr nachtragend war.
Kitzaq belauschte das Gespräch der beiden Frauen und rieb sich nachdenklich die Nase. Als Jekaterina sich von ihrer Freundin abwandte und auf das Zelt des Zaren zuging, trat er in einem unüberlegten Impuls auf Marfa zu. Schirin würde kaum gutheißen, dachte er, was er jetzt tun wollte, aber sie besaß ja auch mehr Stolz als Verstand. Er wusste um die Macht, die seine Schwester Zeyna über Möngür Khan ausübte, und schloss aus dem, was er über die Geliebte des Zaren vernommen hatte, dass es sich hier so ähnlich verhielt. In seinen Augen war nur Jekaterina in der Lage, Schirin zu retten.
»Frau, ich muss mit dir reden!«, sagte er zu Marfa.
Diese musste sich erst die Tränen aus den Augen wischen, um zu erkennen, wer vor ihr stand. »Was willst du von mir, Tatar?«
Ihre Stimme klang hochmütig und ablehnend, doch Kitzaq lächelte und zeigte ihr zum Beweis seiner guten Absichten die offenen Handflächen. »Es geht um Bahadur.«
Sofort vergaß Marfa Alexejewna ihren Widerwillen gegen die Angehörigen der Steppenvölker und schnappte nach diesen Worten wie ein Fisch nach dem Köder. »Was weißt du von dem Jungen?«
Kitzaq war nicht bereit, mit seinem Wissen herauszuplatzen, da sich etliche neugierige Lauscher in der Nähe befanden. »Es gibt ein Geheimnis um ihn, das du wissen solltest, Frau. Komm, schlendere mit mir über die Lagerstraße, denn unser Gespräch ist nicht für andere Ohren bestimmt.«
Marfa sah sich um und blickte Jekaterina, die bei Kitzaqs Auftauchen stehen geblieben war und seine Worte gehört hatte, fragend an. Diese kehrte sofort zu ihrer Freundin zurück, fasste wie
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