Die Tatarin
Zelteingang blieb sie kurz stehen, winkte einen Diener herbei und nahm ein Weinglas von dessen Tablett. Als sie dann auf den Zaren zuging, kam es Menschikow so vor, als müsste auch sie sich Mut antrinken.
Sie hielt das Weinglas immer noch in der Hand, als sie vor demHerrn über Russland stehen blieb und knickste. »Euer Majestät, ich hoffe, das Fest ist ganz nach Eurem Geschmack.«
Pjotr Alexejewitsch hieb mit der Hand durch die Luft. »Eine Siegesfeier über die Schweden wäre mir lieber.«
Jekaterina ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Es steht in Eurer Majestät Ermessen, dieses Ereignis herbeizuführen.«
Menschikow lachte über diese schlagfertige Antwort und zog sich einen grimmigen Blick des Zaren zu. Pjotr Alexejewitschs Unmut hielt jedoch nicht lange an. Er strich Jekaterina mit dem Zeigefinger über die Wange und klatschte ihr dann mit der rechten Hand auf den Po, was ihm allerdings wegen des Reifrocks nicht besonders gut gelang.
»Würden Euer Majestät belieben, damit zu warten, bis wir unter uns sind und ich dieses Drahtgestell abnehmen kann?«, sagte Jekaterina lächelnd und verbarg ihr Gesicht scheinbar verschämt hinter ihrem Fächer.
»Ich kann die Kerle hier hinausjagen«, bot der Zar ihr lächelnd an. Menschikow lachte auf. »Aber erst, wenn wir so richtig besoffen sind!«
»Ich kann ja dafür sorgen, dass ihr rasch abgefüllt seid! Diener, schenkt aus, und dann wird getrunken, verstanden.« Der Zar sah deutlich besser gestimmt zu, wie den Dienern förmlich Flügel wuchsen und sie die Gläser so schnell füllten, als würden sie für jeden Herzschlag lang, den sie zögerten, zehn Stockhiebe erhalten. Nicht lange, und alle hielten ein großes Glas Wodka in der Hand.
Der Zar brachte den ersten Trinkspruch aus. »Auf Russland und auf Mütterchen Jekaterina, die glaubt, dass wir heute etwas zu feiern haben, obwohl die Schweden immer noch im Lande stehen.«
»Auf Pjotr Alexejewitsch Romanow! Wenn er die Schweden nicht besiegt, dann schafft es keiner!«, antwortete Jekaterina mit leuchtenden Augen.
»Also gut, auf uns beide!« Der Zar hob geschmeichelt das Glas andie Lippen und leerte es bis auf den Grund. Die übrigen Anwesenden hatten keine andere Chance, als es ihm gleichzutun. Während Tirenko und Raskin den ausgezeichneten Wodka begeistert in sich hineinschütteten, trank Sergej nur widerwillig und hoffte, dass die übrigen Anwesenden sich schnell betrinken würden, denn damit wuchsen seine Chancen, etwas über Bahadur zu erfahren, und vielleicht konnte er den Zustand der Offiziere ausnutzen und den Jungen in der Nacht noch befreien.
Jekaterina wartete ab, bis sich der Lärm im Zelt ein wenig gelegt hatte, und musterte dann den Zaren mit verschmitztem Blick. »Ich habe eine kleine Überraschung für dich vorbereitet, mein Guter.«
Der Zar rümpfte die Nase. »Na, da bin ich aber neugierig! Übrigens habe ich erfahren, dass der Gefangene noch nicht zurückgebracht wurde. Ich hoffe für dich, dass du ihn nicht aus falschem Mitleid hast laufen lassen.«
Jekaterina knickste lachend vor ihm und schüttelte den Kopf. »Wo denkst du hin, mein Gebieter. Ich würde niemals einen Gefangenen befreien, den du verurteilt hast. Aber meine Überraschung hat tatsächlich etwas mit diesem Bahadur zu tun. Ich möchte dir und den übrigen Herren hier zeigen, wer alles Fähnrich im russischen Heer werden kann. Marfa, es ist Zeit!« Die letzten Worte sprach sie so laut, dass man sie trotz des Lärms, den die Anwesenden machten, vor dem Zelt hören musste. Im nächsten Augenblick schlugen die Wachtposten am Eingang die Zeltplane hoch, und Marfa Alexejewna trat ein. Sie war in ein elegantes, wenn auch nicht ganz so prächtiges Kleid wie Jekaterina gehüllt und führte eine junge, schlanke Frau an der Hand, die sie um einen halben Kopf überragte und sich mit ängstlichen Augen umsah. Die Unbekannte trug ein hellgrünes Kleid, das die meisten Anwesenden schon früher an Jekaterina gesehen hatten und das nun für eine schmalere Figur abgeändert worden war.
»Fasse Mut, mein Kind. Du wirst sehen, es geht alles gut«, raunte Marfa Schirin zu. Doch die junge Tatarin sah aus, als würde sie sicham liebsten losreißen und Hals über Kopf davonlaufen. Jekaterina merkte, dass ihr Schützling langsam die Nerven verlor, und kam ihrer Freundin zu Hilfe. Sie fasste Schirins Rechte und zog sie unbarmherzig vor den Zaren.
»Darf ich vorstellen? Prinzessin Schirin, Tochter des Möngür Khan und der Natalja
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