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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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dem Zaren gegenüberstand. Um Kraft aus sich selbst zu schöpfen, stellte sie sich vor, wie es sein würde, wenn sie Pjotr Alexejewitsch, den Selbstherrscher aller Reußen, die blanke Säbelklinge spüren ließ, und ihre Phantasie formte eine Melodie, mit der man sie und ihre Tat in den Steppen des Ostens besingen würde.
    Sergej hatte Bahadurs schnippische Antwort gehört und warf einen verstohlenen Blick auf die Geisel. Auf irritierende Weise fühlte er sich von den sanft geschwungenen Lippen und dem ebenmäßigen Gesicht angezogen. Kaum konnte er den Blick von den großen Augen lösen, die für einen Tataren viel zu hell waren und in einem Licht leuchteten, das ihn erschreckte. Dieser Junge war bei weitem zu hübsch für einen wilden Stammeskrieger, fuhr es ihm durch den Kopf. Wäre er ein Russe, müssten seine Eltern ihn verheiraten, sowie er mannbar geworden war, weil ihm sonst die Mädchen nachlaufen und ihre Tugend opfern würden. Sergej machte nicht den Fehler, den Tataren zu unterschätzen. Milchgesichter wie Bahadur waren zu Taten fähig, die den Mut kriegerisch wirkender Männerweit übertraf. Soweit er es auf dieser Reise hatte beobachten können, schlief der Junge sogar mit der Hand am Säbelgriff, als erwarte er, jeden Augenblick durch einen Alarmruf geweckt zu werden.
    Sergej war froh, dass Moskau, die Mutter aller Städte, nur noch eine knappe Tagesreise vor ihnen lag, denn dort würde er die Verantwortung für seine Gefangenen in andere Hände legen können. Andererseits spürte er auch ein wenig Bedauern, weil ihm keine Zeit mehr blieb, dieses eingebildete Tatarenprinzlein von seinem hohen Ross herunterzuholen. Mit allen anderen Geiseln hatte er sein Auskommen gefunden, sogar mit Ilgur, der versucht hatte, sich zum heimlichen Anführer der Sibirier aufzuschwingen, und unterwegs recht kleinlaut geworden war. Bahadur aber stand ihm immer noch so feindselig gegenüber wie am ersten Tag.
    Eigentlich sogar noch feindseliger, dachte Sergej mit einem leisen Seufzer, denn seit Ufa wurde er das Gefühl nicht los, es müsse zwischen ihm und dem jungen Tataren noch einmal zum Äußersten kommen. Auch das hinderte ihn, diesem störrischen Knaben einen Denkzettel zu verpassen, denn jede Auseinandersetzung zwischen ihnen würde mit Sicherheit eskalieren. Für einen Augenblick war es ihm, als sähe er den jungen Tataren blutend und mit gebrochenen Augen vor sich liegen, und er schüttelte sich unwillkürlich. Er war Soldat und hatte in seinem Leben schon viele Tote gesehen, aber die Realität hatte ihn niemals so berührt wie die Vision vom Tod dieses Jünglings, die nicht aus seinem Kopf weichen wollte.
    Um das Bild zu vertreiben, das eine düstere Vorahnung sein mochte, ließ Sergej die letzten Tage ihrer Reise vor seinem inneren Auge aufsteigen. Sie waren von Ufa aus so schnell weitergeritten, wie es den Pferden zuzumuten gewesen war, und hatten dabei Jurij Gawrilitschs verzweifelten Proteste überhört, dessen Kutsche das Tempo kaum mithalten konnte. Vor der Abreise aus Ufa hatte er sich vorgenommen, seinen Geiseln die Stadt Kasan zu zeigen, um sie daran zu erinnern, dass dort einmal Tataren gelebt und mit begehrlichen Händen nach Moskau gegriffen hatten, und ihnen von Zar Iwan IV. zu erzählen,der die Stadt erobert und dem Russischen Reich einverleibt hatte. Der Ärger über Bahadurs Unzugänglichkeit und Jurij Gawrilitschs Anbiederung hatte ihm jedoch die Laune verdorben, so dass er am Morgen nach der Ankunft in Kasan schon bei Sonnenaufgang den Befehl zum Aufbruch gegeben hatte. Auch in Nischni Nowgorod waren sie nicht lange geblieben, obwohl Gawrilitsch ihn angefleht und schließlich bedrängt hatte. Der Tobolsker Kaufmann und seine hübsche Tochter hatten es nicht glauben können, dass er sie einfach zurücklassen würde, und während Gawrilitsch versucht hatte, ihn mit Geld zu ködern und der Aussicht, sein Schwiegersohn werden zu können, hatte Mascha ihn in ihre Kammer eingeladen, deren Vorhänge bereits zugezogen gewesen waren. Sergej hatte das Mädchen stehen lassen und sich an eine dralle Wirtsmagd gehalten, deren Gesicht er schon wieder vergessen hatte. Nur an eines erinnerte er sich noch, nämlich an Bahadurs konsternierte Miene. Der Bursche war ihm auf dem Flur begegnet, gerade in dem Moment, in dem er aus der Kammer der Magd herausgetreten war, und hatte ihn ebenso irritiert wie verächtlich gemustert.
    Sergej lachte bei dem Gedanken verärgert auf und schimpfte sich einen Narren, denn in der

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