Die Tatarin
wirklich ein Kampfhahn.« Wanja zeigte auf einige von Ilgurs Kumpanen, an denen Schirins Fäuste, Zähne und Fingernägel sichtbare Spuren hinterlassen hatten, und zwinkerte Sergej verschwörerisch zu. »Es ist wirklich besser, wenn wir den Burschen hier herausholen, denn wenn er so weitermacht, können wir dem Zarewitsch nur noch einige lahme Krüppel vorführen.«
Die Gefangenen erbleichten bei diesen spöttischen Worten. Ilgur machte Miene, als wolle er trotz des vorgehaltenen Bajonetts auf Wanja losgehen, besann sich aber anders, als die Klinge sich in seine Kleidung bohrte.
Er wich bis an die Wand zurück. »Eines Tages werde ich es dir heimzahlen, Bahadur!«
Schirin hatte das Gefühl, als bestünden ihr Gesicht und ihre Hände nur mehr aus rohem Fleisch, und sie musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht vor Schmerzen zu schreien. Ihr Blick fiel auf zweivon Ilgurs Kumpanen, denen das Gesicht um die Augen herum anschwoll und sich blau verfärbte, und sie fragte sich, wie sie selbst wohl aussehen mochte. Am liebsten hätte sie angefangen zu weinen, aber sie durfte jetzt keine Schwäche zeigen. So zupfte sie scheinbar ungerührt ihre Kleidung zurecht, die ebenfalls gelitten, ihr Geheimnis aber nicht preisgegeben hatte, hob ihre Börse auf und wandte sich betont lässig an Wanja.
»Du hast gehört, was dein Hauptmann gesagt hat. Du sollst Ostap und mich in eine andere Unterkunft bringen!« Es wäre ihr zwar lieber gewesen, allein zu bleiben, doch sie durfte den Jungen nicht den Quälereien der anderen überlassen. Die beiden Geiseln, die sich aus dem Streit herausgehalten hatten, versuchten nun, Sergejs Aufmerksamkeit zu erregen.
»Verzeih, Väterchen Offizier, aber kannst du mich nicht auch woanders unterbringen. Ich bin zwar nicht feige, aber …«, begann einer.
»… du hast auch nichts gegen gesunde Knochen«, unterbrach Wanja ihn lachend. »Was meint Ihr, Sergej Wassiljewitsch, soll ich den ebenfalls woanders hinschaffen?«
Sergej nickte und ließ es auch zu, dass sich der zweite Mann zu dem Sprecher gesellte. »Bring die vier in die kleine Kammer am Ende des Ganges. Die dürfte ausreichen.« Er wollte schon gehen, als Schirin hinter ihm hereilte.
»Einen Augenblick noch, Väterchen Offizier. Ich bitte um eine Gunst, weniger für mich als für mein Pferd. Goldfell ist es gewöhnt, täglich bewegt zu werden, doch er ist so wild, dass ich ihn nicht Euren Stallknechten überlassen kann.«
»Du willst also ausreiten. Also ist es doch eine Bitte für dich selbst.« Sergej musterte Bahadur von Kopf bis Fuß und nickte dann. »Unsere Pferde müssen auch bewegt werden. Also wirst du mit meiner und Wanjas Begleitung vorlieb nehmen müssen. Versuche nur ja nicht zu fliehen, sonst überlasse ich dich deinen Freunden!« Er deutete auf den wütenden Ilgur und gab den Soldaten einen Wink, die vier wegzubringen. Während er ihnen langsam folgte, fragte er sich,was ihn dazu getrieben haben mochte, dem Wunsch des jungen Tataren zu willfahren.
Die Nachricht vom Aufruhr bei den Gefangenen hatte rasch die Runde gemacht, und so erfuhr auch Kirilin davon. Sofort eilte er zum Quartier der Geiseln und sprach die beiden Soldaten an, die draußen Wache hielten. »Wie ich hörte, soll es Schwierigkeiten gegeben haben.«
»Ja, aber es ist schon alles wieder ruhig, Väterchen. Sergej Wassiljewitsch hat bereits durchgegriffen«, berichtete einer der Männer eifrig. »Tarlow also!« Es klang wie ein Fluch. Kirilin ärgerte sich, dass Sergej ihm zuvorgekommen war, denn er hätte am liebsten ein Exempel statuiert und gleichzeitig gezeigt, dass der Dragonerhauptmann nicht einmal fähig war, eine Hand voll Geiseln im Zaum zu halten. Er befahl den Wachen, ihn mit den Sibiriern sprechen zu lassen, und winkte einem der Soldaten, ihn mit schussbereiter Muskete zu begleiten. Drinnen musterte er die stumm dahockenden Männer und wandte sich an Ilgur, der ihm als Sprecher der Gruppe genannt worden war. »Um was ging es?«
»Wir wollten uns Bahadurs Geld nehmen, Väterchen Offizier, um Wodka kaufen zu können, denn unsere Beutel sind leer.« Ilgur grinste Kirilin vertraulich an, denn er kannte ihn aus Ajsary und wusste, dass dieser Offizier ein großer Säufer und auch ein Freund fremden Eigentums war. Dabei vergaß er, dass sie sich nicht mehr in Sibirien, sondern in Moskau befanden. Kirilin rollte seine Peitsche aus und holte aus, als wolle er Ilgur für seine Frechheit bestrafen.
Dann aber trat ein lauernder Ausdruck auf sein Gesicht,
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