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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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und gar nicht. Aber da müsste ich schon ein Offizier sein, der mit klirrenden Sporen eintreten und bestellen kann.«
    Sergej schüttelte lachend den Kopf. »Du bist ein Dummkopf, Wanja! Ich führe dich doch nicht in dieses Gasthaus und lasse dich mit hungrigen Augen beim Essen zusehen. Du bist mein Gast und Bahadur ebenso.«
    »Ich kann meine Zeche selbst bezahlen«, entgegnete Schirin hochmütig.
    »Das mag sein, doch anders als ich erhältst du keinen regelmäßigen Sold und solltest dein Geld daher zusammenhalten.« Sergej ließ keinen Widerspruch mehr gelten, sondern trat auf den rückwärtigen Eingang des Gebäudes zu. Schirin folgte ihm zögernd und drehte sich dann noch einmal zu dem Knecht um, der Goldfell eben in den Stall führte. »Kannst du mein Pferd abreiben, es tränken und ihm Hafer geben?«
    Der Mann nickte diensteifrig und versicherte, er werde dem Hengst nur den besten Hafer in die Krippe streuen. Sergej war ebenfalls stehen geblieben und forderte den Knecht auf, auch sein und Wanjas Pferd zu versorgen. Gleichzeitig schnippte er ihm eine Münze zu.
    Der Knecht beäugte das Geldstück und verbeugte sich dann so tief, als stünde er vor einem Fürsten oder gar dem Zaren selbst. »Es wird alles zu Eurer Zufriedenheit sein, edler Herr!« Dann führten er und sein Kamerad die Pferde aufgeregt schwatzend in den Stall.
    Schirin schloss zu Sergej auf und folgte ihm durch einen kühlen Flur, von dem mehrere Türen abgingen und der von ungewohntem Essensduft erfüllt war. Sie schnupperte prüfend, fand, dass es gut roch, und trat durch die Tür, die Sergej aufgestoßen hatte, in die Gaststube. Auch dieser Raum unterschied sich von allem, was Schirin bislang in Russland gesehen hatte. Die Wände waren mit geschnitztenHolzpaneelen verkleidet und mit Hirschgeweihen geschmückt. Zwischen diesen waren kurze Stangen befestigt, auf denen Fasane, Hasen und sogar ein Zobel saßen. Die Tiere waren ausgestopft, wirkten aber so lebendig, als hätte ein böser Zauber sie an ihren Platz gebannt. Von der getäfelten Decke hingen gläserne Lüster herab, deren Kerzen um diese Zeit jedoch noch nicht brannten. Wuchtige Tische mit gedrechselten Beinen und Stühle mit hohen Lehnen und Sitzpolstern luden die Gäste zum bequemen Sitzen ein. Neben einer Art Anrichte hantierte ein Mann, der in ein weißes Hemd, eine ärmellose rote Weste und eine beige Kniehose gekleidet war. Unter seiner Hose sahen bestickte Strümpfe hervor, die in schwarzen Schuhen endeten, und sein Kopf zierte ein rotes Käppchen, an dem Möngürs Frauen und Töchter durchaus Gefallen gefunden hätten.
    Als der Wirt Sergej eintreten sah, wieselte er dienstbeflissen auf ihn zu und verbeugte sich. »Halten zu Gnaden, edler Herr. Wünscht Ihr einen guten Trunk, ein wohlschmeckendes Mahl und ein Zimmer für die Nacht? Das Bett ist selbstverständlich mit feinsten Daunen gestopft.« Sein Russisch klang so fremd, dass Schirin Mühe hatte, ihn zu verstehen.
    Sergej hob die Hand, um den Redefluss des Wirtes zu unterbrechen. »Nur Speise und Trank! Wir müssen vor Anbruch der Nacht wieder in Moskau sein.«
    Die Miene des Wirts verdüsterte sich, denn mehr als einen oder zwei Krüge Bier und ein Stück Braten würden diese Gäste also nicht verzehren. Sein Blick wanderte zu einem hölzernen Kasten, der unter einem Hirschgeweih hing und mit einem Kreis aus den Zahlen von eins bis zwölf geschmückt war. Zwei kupferne Stäbchen waren in der Mitte des Kreises befestigt und zeigten wie Finger auf die Zahlen. Schirin, die dem Blick des Wirts gefolgt war, zuckte ein wenig zusammen, als der längere der Kupferfinger sich wie von Geisterhand bewegte, beschloss aber nicht zum ersten Mal, sich über nichts mehr zu wundern.
    »Es ist erst kurz nach zwei Uhr, edle Herren. Ihr habt also genug Zeit, in Ruhe euer Mahl zu euch zu nehmen und pünktlich nach Moskau zurückzukehren.« Der Wirt wies auf einen Tisch direkt am Fenster, wo es am hellsten war und man die neuen Gäste am besten betrachten konnte.
    Schirin bemerkte die Blicke, die ihnen folgten, und setzte sich so, dass sie ihrerseits die meisten anderen Gäste im Blickfeld hatte. Im Unterschied zu den russischen Herbergen, die sie unterwegs kennen gelernt hatte, war die Gaststube nicht überfüllt, denn außer ihnen saß nur ein gutes Dutzend Männer an den Tischen, teilweise einzeln, teilweise zu zweit oder dritt. Es war kein Russe unter ihnen, darauf hätte sie ihren Lammfellmantel verwettet. Im Augenblick interessierte sich

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