Die Tatarin
Augenblick verwundert an, ergriff dann seine Hand und spürte einen festen, aber nicht unangenehmen Druck.
»Danke!«, sagte er, und Schirin spürte, dass er sich nicht so sicher gewesen war, wie er vorgab.
Mittlerweile hatte Wanja zu ihnen aufgeschlossen. Er war nicht weniger erschöpft als sein Pferd und sichtlich froh, den Hauptmann und die tatarische Geisel beisammen zu sehen. »Nichts für ungut, Sergej Wassiljewitsch, aber so schnell wie dein Moschka oder dieser tatarische Höllengaul läuft mein alter Burok nun einmal nicht. So wie der junge Herr vorhin losgeprescht ist, habe ich nicht geglaubt, dass er vor Sibirien noch einmal anhalten würde.«
»Bahadur ist nicht nur ein Edel-, sondern auch ein Ehrenmann, der den Wert eines gegebenen Wortes kennt!« Sergej lachte übermütig auf und deutete nach vorne auf eine weniger als zwei Werst entfernte Stadt. »So ein Ausritt macht hungrig, meint ihr nicht auch?«
Wanja wirkte sofort munterer. »Also, ich hätte nichts gegen einen großen Napf Borschtsch und ein paar Piroggen einzuwenden, und gegen ein paar Gläser Wodka natürlich auch nichts.«
»Und du, Freund Bahadur?«, fragte Sergej.
Schirin horchte kurz in sich hinein und nickte. »Mein Magen hätte nichts dagegen, gefüllt zu werden, solange es nicht mit eurem Schweinefleisch und Wodka ist.«
»Bahadur, du weißt gar nicht, was dir entgeht!«, antwortete Wanja treuherzig.
»Dort drüben gibt es noch ganz andere Dinge. Lasst euch überraschen.« Sergej winkte Schirin und Wanja, ihm zu folgen, und ließ Moschka antraben. Die Entfernung schmolz rasch, und Schirin konnte bald feststellen, dass sich der Ort stark von den anderen russischen Städten unterschied, die sie kennen gelernt hatte. Die Kirchtürme endeten zumeist in einer Spitze, und die einzige Kuppel war nicht mit Blattgold belegt, sondern mit Kupfer beschlagen und trug ein einfaches Kreuz ohne den zweiten Querbalken. Die Häuser waren aus Stein und ihre Dächer statt mit Holzschindeln mit roten Tonziegeln gedeckt. Zu den meisten Haustüren führten Treppenaufgänge, und in den mit Glas gefüllten Fenstern hemmten Vorhänge die freie Sicht nach innen. Das Ungewöhnlichste war jedoch die Straße, die in die Stadt hineinführte, denn sie war mit faustgroßenSteinen gepflastert. Die Menschen, denen die kleine Gruppe begegnete, trugen jene Art von Kleidung, die Jurij Gawrilitsch und dessen Tochter Mascha zuletzt angelegt hatten, die Männer Kniehosen, Westen und eng anliegende Schoßröcke, die Frauen lange, taillenbetonte Kleider, geschnürte, teilweise recht offenherzig geschnittene Mieder und seltsame Hüte in verschiedensten Formen.
Sergej amüsierte sich über Bahadurs Verwunderung. »Gefällt dir das Städtchen?«
»Wo sind wir hier?«, antwortete Schirin mit einer Gegenfrage.
»Das ist die Nemezkaja Sloboda, die deutsche Vorstadt Moskaus. Hier leben und arbeiten die Ausländer, die von den Zaren seit Iwan IV. nach Russland geholt wurden.«
Schirin konnte mit dieser Aussage nichts anfangen, daher deutete Sergej auf einige Geschäftsschilder, die in einer Schirin unbekannten Schrift bemalt waren.
»Dieser Laden gehört einem französischen Hutmacher, der da drüben einem holländischen Kurzwarenhändler und das dort ist unser Ziel, der Deutsche Krug. Dort gibt es bestimmt etwas, das dir schmecken wird.«
Sergej lenkte seinen Braunen auf ein Gebäude zu, dessen Erdgeschoss aus Ziegeln erbaut worden war und zwei weitere, im Fachwerkstil errichtete Stockwerke trug. Das schwarze Gitterwerk in den großen Fenstern war mit vielfarbigen, teilweise bemalten Glasscheiben gefüllt, die in der Sonne leuchteten. Der Hof, in den Sergej seine Begleiter führte, war so sauber, als würde er ständig gefegt, und ehe sie absteigen konnten, eilten schon zwei Knechte herbei. Russische Offiziere schienen sie gewohnt zu sein, denn sie begrüßten sie devot, bei Schirins Anblick aber brachen sie in erstaunte Rufe in einer fremden Sprache aus.
Sergej stieg ab und überließ dem Knecht sein Pferd, Schirin tat es ihm nach, wenn sie Goldfell auch ungern aus den Händen gab, Wanja blieb jedoch auf seinem Burok sitzen.
»Ich glaube nicht, dass ich Euch begleiten kann, Väterchen. Für diesesGasthaus ist meine Börse zu dünn. Ich bin zwar kein Bauer, der sein einziges Geldstück unter der Zunge spazieren tragen muss, aber einen Braten und ein paar Krüge Bier im Deutschen Krug kann ich mir nicht leisten. Nicht dass ich etwas dagegen hätte, dort einzukehren, ganz
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