Die Tatarin
schützen, wenn …« Er brach ab und schüttelte sich, um die albtraumhaften Bilder zu vertreiben, die die Phantasie in seinem Kopf entstehen ließ. Das schien nicht viel zu nützen, denn er füllte etliche Gläser mit einer bräunlichen Flüssigkeit und teilte sie unter seinen Gästen auf. Dann hob er sein Glas. »Auf Peter Romanow, den Zaren von Russland! Möge ihm der Sieg gelingen!«
»Auf Peter Romanow und seinen Sieg!«, klang es fast einhellig zurück.
Der scharfe Geruch des Getränks erinnerte Schirin an Wodka, und so schob sie Wanja ihr Glas hin. Der Wachtmeister schnupperte genießerisch. »Die Popen warnen zwar davor, die ausländischen Ketzer aufzusuchen und mit ihnen zu essen und zu trinken. Aber wenndie Leute auf unseren Zaren anstoßen, kann man schlecht Nein sagen! Das meint Ihr doch auch, Sergej Wassiljewitsch?«
»Vor allem, wenn sie einen so guten Branntwein ausschenken wie diesen hier, meinst du wohl, du alter Gauner!« Sergej gab Wanja einen leichten Stüber und trank sein eigenes Glas mit Genuss leer. »Es ist schade, dass du keinen Schnaps magst, Bahadur. Dieser Branntwein hier schmeckt besser als mancher Wodka.«
»Einem Russen mag das Zeug ja schmecken, doch ein Tatar …« Schirin brach ab, denn sie erinnerte sich, dass ein Teil der übrigen Geiseln ihr das Geld hatte abnehmen wollen, um Schnaps dafür zu kaufen. Anscheinend war etwas in diesem Gebräu, das Männer zu Narren machte und sie Anstand und Würde vergessen ließ. Sie trank ihren Krug leer und reichte ihn dem Wirt, der ihn bereitwillig füllte. Kurz darauf erschien eine junge Frau mit einem großen Tablett und teilte die Speisen aus.
Schirins Fisch war gut gewürzt und zerging beinahe auf der Zunge. Auch Sergej schien es zu schmecken, denn er lobte den Wirt und bestellte sich einen vierten Krug Bier, während Wanja es bei seinem dritten beließ. Schirin hatten die scharfen Gewürze Durst gemacht, und so leerte sie ihren Krug so schnell, als wäre Wasser darin. Als sie den Kopf hob, um den Wirt anzusehen, der ihr nachschenken wollte, stellte sie fest, dass ihr ganz sonderbar zumute war. Es war, als schwebe sie weit weg von sich selbst und all ihren Sorgen. Aus diesem Gefühl heraus zog sie das schäumende Getränk an sich, nippte daran und beobachtete sich selbst, als wäre sie ein Zuschauer neben ihrem eigenen Körper. Es war ein ganz anderer Bahadur, der mit einem Mal schallend über Wanjas anzügliche Witze lachte, und eine ihr unbekannte Schirin, die Sergej als so nett und liebenswürdig empfand, dass sie ihn am liebsten umarmt hätte. Als sie dann aufstand, um den Abtritt aufzusuchen, erfasste sie ein leichter Schwindel, und sie musste sich an der Tischkante festhalten, weil die Beine unter ihr nachzugeben drohten.
Mit einem Mal war ihre gute Laune verflogen, und Wut stieg in ihrauf. Ihr Zeigefinger schnellte auf den Hauptmann zu. »Was für ein Getränk hast du mir da hinstellen lassen?«
»Gutes deutsches Bier! Warum fragst du?« Sergej begriff ihre Erregung nicht.
Schirin stieß einen fauchenden Laut aus. »Das Zeug macht trunken!«
»Ja, aber dafür sind mehr Krüge notwendig, als wir geleert haben!«, gab er zu.
»Du hast mich hereingelegt, du russischer Hund! Dafür sollte ich dich peitschen, bis das Blut kommt.« Schirin riss ihre Reitpeitsche aus dem Gürtel, erschrak aber vor ihrem eigenen Zorn und schlug nur auf den Tisch. Die meisten Gäste zuckten bei dem knallenden Geräusch zusammen, Sergej aber starrte den jungen Tataren nur verständnislos an und machte keine Anstalten, ihm die Peitsche zu abzunehmen.
Schirin hatte sich sofort wieder in der Gewalt, verließ mit einem verächtlichen Fluch die Gaststube und rief draußen nach ihrem Pferd. Jetzt kam Leben in Sergej. Er warf dem Wirt einige Rubel zu, die beinahe das Doppelte der Zeche ausmachten, und folgte seinem Schützling, sah aber nur noch, wie Bahadur sein Pferd auf die Straße lenkte und ihm den Kopf freigab. Der Hengst fiel aus dem Schritt in Galopp und entschwand aus Sergejs Blickfeld.
Als der Hauptmann zwei Stunden später auf seinem abgetriebenen Wallach Moskau erreichte, berichteten ihm die Wächter am Stadtrand, dass der junge Tatar mit dem goldfarbenen Hengst bereits in der Stadt eingetroffen sei, und als er Moschka in den Stall führte, fand er Goldfell in seiner Box, den Kopf in der Krippe, aus der der Hengst die letzten Haferkörner leckte. So machte er sich auf den Weg in Bahadurs Quartier, um mit ihm zu reden. Er wollte ihm
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