Die Tatarin
begegneten ihnen, zumeist Soldaten, die zu Lopuchins Einheit zählten, Priester in goldbestickten Gewändern und mit langen Bärten und einige Bojaren, die die Abwesenheit des Zaren ausnutzten, um ihre langen, zobelbesetzten Mäntel und jene Pelzmützen zu tragen, die schon zur Zeit ihrer Väter Tradition gewesen waren.
Schirin gab es auf, die Gemächer zu zählen, durch die die Gruppe geführt wurde, und fragte sich schon, ob man sie in ein verzaubertes Haus gelockt hatte, durch den sie den Rest ihres Lebens irren mussten. Kurz darauf näherten sie sich einer goldbeschlagenen Tür, die ebenso lautlos wie alle anderen geöffnet wurde und den Blick auf einen größeren, von duftenden Wachskerzen hell erleuchteten Saal freigab. Hier prangten sämtliche Wände in vergoldeten Schnitzereien, die nur dazu gemacht schienen, die zahllosen Heiligenbilder auf ihnen hervorzuheben, und die Decke wölbte sich nun hoch über den Köpfen der Eintretenden. Es gab nur ein einziges Möbelstück im ganzen Raum, einen vergoldeten Stuhl, der auf einer kleinen Empore stand. Dort aber saß niemand, denn es handelte sich, wie Lopuchin flüsternd erklärte, um den Thron des Zaren, und diesen öffentlich zu benutzen hieße, Pjotr Alexejewitsch Romanows Zorn auf sich herabzurufen.
Etwas seitlich vom Thron standen zwei Männer, ein hager wirkender Jüngling in beigen Kniehosen und einem dunkelgrauen Rock und ein Priester in einer einfachen schwarzen Kutte. Die unauffällige Kleidung täuschte über ihre Bedeutung hinweg, denn der Jüngere war der Zarewitsch und der andere, wie Schirin Schischkins gemurmelten Worten entnehmen konnte, sein Beichtvater. Beide warenso in ihr Gespräch vertieft, dass sie sich zunächst nicht für die Ankömmlinge interessierten. Erst als Lopuchin sich vernehmlich räusperte, drehte Alexej Petrowitsch sich zu ihm um.
Schirin sah in ein blasses, etwas starr wirkendes Gesicht mit einem eher abweisenden Ausdruck. Der Zarewitsch schien nicht so recht zu wissen, was er mit den Sibiriern anfangen sollte, und wandte sich mit einem Hilfe suchenden Blick an den Priester. Dieser hob die Hand zu jener segnenden Geste, die Schirin schon bei anderen russischen Geistlichen gesehen hatte und die von den Offizieren und den Soldaten stets mit dem Zeichen des Kreuzes beantwortete wurde.
Lopuchin salutierte auf die neue, vom Zaren eingeführte Weise, eilte dann aber nach vorne, ergriff die Hand des Zarewitschs und führte sie voller Inbrunst an die Lippen. »Euer Hoheit, darf ich Euch die wackeren Sieger über die aufständischen Sibirier vorstellen? Dies hier ist Oleg Fjodorowitsch Kirilin, Hauptmann in Eurer Garde, und dort steht der Dragoneroffizier Sergej Wassiljewitsch Tarlow.«
Lopuchin sprach Sergejs Namen so abwertend aus, dass es schon an Beleidigung grenzte. Offensichtlich wollte der Major seinen Freund Kirilin hervorheben, und das machte Schirin noch wütender. Immerhin hatte Sergej ihren Stamm bezwungen, eine Tat, die nur ein großer Held hatte vollbringen können. Mit einem Wicht wie Kirilin wären ihr Vater und Kitzaq mühelos fertig geworden.
Sie beobachtete spöttisch, wie Kirilin sich dem Zarewitsch in beinahe kriecherischer Haltung näherte und ihm ebenso wie Lopuchin die Hand küsste. Auch Schischkin kroch vor dem blassen, ein wenig stumpf wirkenden Menschen, während Sergej mit straffem Rücken salutierte, wie der Zar es seinen Soldaten vorgeschrieben hatte. Jakub Ignatjew, Alexej Petrowitschs Beichtvater, bedachte ihn dafür mit einem strafenden Blick. Auf einen Wink des Zarewitschs wurden die Geiseln nun an ihm vorbeigeführt. Der junge Mann bemühte sich, hoheitsvoll zu erscheinen, doch Schirin bemerkte in der kurzen Zeitspanne, in der sie direkt vor ihm stand, dass der Thronfolgerdes Russischen Reiches so stark nach Wodka roch, als hätte er in einem ganzen Fass gebadet, und vor Angst schwitzte.
Als Sohn des Zaren und kommender Herr des Russischen Reiches, dachte Schirin, müsste er stolz und erhaben auftreten, als Anführer, dem seine Gefolgsleute auch von Herzen Respekt erweisen konnten. Zu seiner Entschuldigung nahm sie an, dass der Krieg mit diesen angeblich so übermächtigen Schweden sehr schlecht stand, so dass der Zarewitsch nicht nur um das Reich seines Vaters, sondern auch um sein eigenes Leben fürchtete. Dieser Gedanke beschäftigte sie auch dann noch, als die Audienz nach kurzer Zeit beendet wurde und Schischkin sie auf weniger verschlungenen Wegen in ihr Quartier zurückbrachte.
Sergej
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