Die Tatarin
die Sibirier, die ihr gefangen habt? Gut gemacht!« Noch mit dem Pinsel in der Hand schritt er auf die enger zusammenrückende Gruppe zu und musterte sie durchdringend. Ostap klammerte sich an seinen großen Freund Bahadur und versteckte sich schließlich hinter ihm. Ilgur, der sonst mit der Erzählung seiner angeblichen Heldentaten nicht geizte, hob schützend die Hände vor den Kopf und wich vor dem Zaren wie vor einem wilden Tier zurück. Schirin aber fand die Erscheinung des russischen Khans zunächst eher beeindruckend als beängstigendund blieb steif stehen. Pjotr Alexejewitsch war der größte Mann, den sie je gesehen hatte, und als er direkt vor ihr stand, musste sie den Kopf in den Nacken legen, um zu ihm aufblicken zu können. Mit einem Mal aber fühlte sie sich wie gelähmt. Hätte sie einen Dolch besessen, wäre es ihr in diesem Moment nicht möglich gewesen, ihn zu ziehen und zuzustechen.
»Fünfzehn von denen sind Geiseln? Die dürften mir für eine Weile Frieden in Sibirien bescheren. Aber ich will keine unnützen Fresser durchfüttern müssen. Die Kerle sollen sich ihre Mahlzeiten und ihr Quartier verdienen. Wir stecken sie zu den Soldaten, Tarlow. Wie man kämpft, dürften sie wohl gelernt haben.«
Der Zar stieß seine Worte so schnell heraus, dass Schirin ihnen kaum folgen konnte, und die anderen Geiseln, die bei weitem nicht so gut russisch sprachen wie sie, verstanden nur einzelne Worte. Dennoch begriff jeder von ihnen, was der Zar mit ihnen vorhatte. Sie sollten für den Feind, der sie ihren Familien und Stämmen entrissen hatte, in den Krieg ziehen! Da es nur einen Gegner gab, der dem Zaren gefährlich werden konnte, hieß das, sie würden gegen die Schweden kämpfen müssen, diese Ungeheuer aus dem Norden, die nach den Berichten der Dragoner schon ganze Länder und Völker verschlungen hatten.
Schirin verspürte eine solche Wut auf den Zaren, dass ihre Erstarrung sich löste und ihr Mut zurückkehrte, und sie wollte ihm schon ins Gesicht schreien, dass er gefälligst selbst kämpfen und sie und die anderen in Frieden nach Hause ziehen lassen solle. Ein Blick auf Pjotr Romanows zuckendes rechtes Augenlid und seinen schief gezogenen Mund ließ sie jedoch die Worte schlucken, die ihr auf der Zunge lagen.
Bevor ein weiteres Wort fiel, eilte Jekaterina herbei, umfasste den Zaren und drückte ihn fest an sich. »Beruhige dich, Väterchen! Ich weiß, dein Sohn hat dich erzürnt, aber trotzdem darfst du deine Wut nicht an diesen armen Kerlen auslassen.«
Pjotr Alexejewitsch ließ seinen Kopf auf ihre Schulter sinken undatmete schwer. Das Zucken seines Augenlids verlor sich, und der verkrampfte Mund wurde seltsam weich. »Du hast ja so Recht, Mütterchen! Doch manchmal drückt mich die Last, die ich auf meinen Schultern trage, schier zu Boden. Wie soll Russland gedeihen, wenn es weiterhin im Sumpf alter Riten und Gebräuche gefangen ist, während Länder wie Schweden, Frankreich und England frischen Lorbeer auf ihren Häuptern sammeln?«
»Du wirst einmal mehr Lorbeer tragen als alle anderen zusammen. Vertrau mir, bitte!«, beschwor ihn Jekaterina.
Als hätten die Worte seine Laune schlagartig gehoben, begann Pjotr Alexejewitsch zu lachen. »Ich wusste doch, warum ich dich zu mir nahm, Katinka, denn du bereitest mir nicht nur im Bett viel Vergnügen, sondern gibst mir auch immer wieder den Nasenstüber, den ich brauche, um nicht im Elend zu versinken!«
Er küsste sie ungeniert auf den Mund und ließ seine breiten Hände genüsslich über ihren Busen wandern.
»Mach dich für die Nacht fertig, Mädchen! Ich komme gleich nach.« Dann wandte der Zar sich wieder den Geiseln zu. Sein Blick war streng, aber nicht böse, und das Lächeln eher mild als beleidigend.
»Eure Väter und Khane haben euch mir übergeben, also bin ich jetzt euer Herr und werde über euer weiteres Leben entscheiden. Dient mir gut, und ihr werdet es nicht bereuen!« Er schwieg für einen Moment, als warte er auf eine Antwort. Als die Geiseln stumm blieben, sah er Sergej an, der immer noch starr wie eine Statue neben der Gruppe stand und sich kaum zu regen wagte.
»Die Sibirier werden getrennt und verschiedenen Regimentern zugeteilt. Sie sind ab heute keine Geiseln mehr, sondern Soldaten der russischen Armee. Der dort«, er zeigte mit der Hand auf Ostap, der vorsichtig hinter Schirin hervorlugte, »kommt auf die Kadettenschule. Dort soll er erst einmal Lesen und Schreiben lernen. Ich habe schon zu viele ungebildete Muschiks
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