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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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russischen Trikolore von dem gelben Schwedenkreuz auf blauem Grund an den Türmen der Peter-und-Paul-Festung begrüßt werden.
    In Offizierskreisen waren die Sorgen des Gouverneurs Tagesgespräch. Schirin, die als Fähnrich nun ebenfalls dazugehörte, interessierte sich nur wenig für all die Gerüchte und Vermutungen, sondern versuchte, einfach nur unerkannt zu bleiben. Ostap hatte ebenfalls an anderes zu denken als an die Gefahr durch die Schweden,denn er tat nun schon etliche Tage Dienst auf der Fregatte Alexej Romanow und kam nur selten dazu, seine Freunde zu besuchen. Sergej diskutierte zwar eifrig mit seinen Kameraden, aber in Wahrheit langweilte er sich als Hauptmann ohne eigene Kompanie und pflegte seinen verletzten Stolz, weil der Zar ihn, statt ihn zu belohnen und in ein besseres Dragonerregiment zu versetzen, zum Anführer einer asiatischen Kriegerhorde bestimmt hatte. Wanja hingegen nahm das Leben so, wie es war. Er hatte die Tage genossen, die sie in Apraxins Palast hatten wohnen dürfen, fand sich aber auch schnell mit ihrem neuen, weitaus schlechteren Quartier ab.
    Sie hausten nun in dem Stall, in dem ihre Pferde untergekommen waren. Der vordere Teil war durch ein einfaches Holzgeländer abgetrennt worden und bot neben einer aus Lehm gefertigten Kochstelle und einem Brett über zwei Steinen, auf dem sie ihre Teller und Gläser untergebracht hatten, nur Platz für ein paar Strohsäcke. Schränke oder Truhen gab es keine, lediglich ein paar Holzzapfen an der Wand, an denen sie ihre Kleidung aufhängen konnten. Der einzige Luxus war ein direkt neben dem Stall angebrachter Abtritt, so dass sie sich, wie Wanja es derb ausdrückte, auf dem Weg dorthin nicht den Arsch abfrieren mussten.
    Zunächst hatte Schirin befürchtet, ihr Geheimnis in dieser Umgebung nicht lange bewahren zu können. Rasch aber lernte sie, dass der Mangel an Platz ihr eine gute Ausrede bot, sich zwischen den Pferden umzuziehen. Sergej warf ihr zwar dann und wann einen interessierten Blick zu, doch da sie ebenso wie er und Wanja in Hemd und Hosen schlief, konnte sie vermeiden, ihm mehr als ihre nackten Füße oder mal einen bloßen Arm zu zeigen. Größere Sorgen bereitete ihr die Tatsache, dass der nächste Brunnen mehr als hundert Schritte entfernt lag und das Wetter es immer mühsamer machte, Wasser von dort herbeizuschleppen, das sich genauso kalt anfühlte wie die Eiszapfen, die vom Dach herunterragten. Schirin schüttelte es, wenn sie sich damit waschen musste. Da ihr spärlicher Vorrat anGras und Holz, mit denen das Kochfeuer in Gang gehalten wurde, es nicht erlaubte, jeden Tag Wasser zum Waschen zu erhitzen, machte sie es bald Sergej und Wanja nach, die sich mit Schnee und feuchten Tüchern sauber rieben. Die beiden Männer vermissten die Badestuben und Schwitzbäder, die man aufgrund dringenderer Arbeiten noch nicht errichtet hatte, doch Schirin war froh, dass sie sich nicht noch einmal nackt in eine Gemeinschaftswanne setzen musste. Wenn Sergej und Wanja gemeinsam unterwegs waren, was leider nur selten vorkam, erwärmte sie ein wenig Wasser in ihrem Kochkessel und wusch sich damit von Kopf bis Fuß.
    Als Sergej sich enger an andere Offiziere anschloss, die gleich ihm auf die ihnen zugeteilten Soldaten warteten, und auch Wanja öfter mit anderen Unteroffizieren unterwegs war, hoffte Schirin schon, mehr Zeit alleine verbringen zu können, aber da sie als Fähnrich der russischen Armee galt und alle annahmen, der Zar würde Bahadur über kurz oder lang zum Leutnant befördern, betrachteten die zumeist noch recht jungen Offiziere den Tataren als Kameraden und zogen ihn ebenfalls in ihren Kreis.
    So kam es, dass Schirin Sergej nun zu den Treffen begleiten musste. Wie schon des Öfteren führte ihr Weg sie zu dem halbfertigen Gebäude einer Bojarenfamilie, das wie so viele andere Häuser in Sankt Petersburg einige bereits bewohnbare Räume aufwies. Da sich der Besitzer des Hauses trotz des Drucks, den der Zar auf ihn und andere ausübte, geweigert hatte, sein altes Heim zu verlassen und das neue zu beziehen, benutzte dessen jüngerer Sohn Stepan Raskin, der als Leutnant und – wie er behauptete – als Laufbursche für alle in Apraxins Stab diente, es als Treffpunkt für sich und seine Kameraden. Stepan, den seine Freunde wegen seiner Namensähnlichkeit zu dem berühmt-berüchtigten Kosakenrebellen unter sich Stenka Rasin nannten, erwartete seine Gäste fröhlich grinsend an der Tür, während sein Diener bis zum Rand gefüllte

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