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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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mehr als nur ein Untergebener. Ich gebe ja zu, er sieht hübsch aus, aber ich für meinen Teil ziehe die schwellenden Formen einer reifen Frau einem mageren Knabenhintern vor.« Die Beleidigung war gut gezielt und wurde durch das Gelächter der übrigen Offiziere noch verstärkt. Sergej selbst stand bleich wie der Tod und kämpfte gegen den Wunsch an, den Säbel zu ziehen und den Verleumder wie einen tollen Hund niederzuschlagen.
    Kirilin amüsierte sich ganz offensichtlich über ihn, und da Sergej nicht antwortete, stichelte er weiter. »Außerdem braucht der Kleine ja nur ein Glas auf unseren erhabenen Zaren zu leeren, Sergej Wassiljewitsch. Das ist doch gewiss nicht zu viel verlangt«
    »Und eines auf unsere glorreiche Armee!«, setzte Schischkin kichernd hinzu.
    Schirin sah die Augen der meisten auf sich gerichtet und erkannte, dass die Situation jeden Moment eskalieren konnte. Wenn jetzt Blut floss, würde sie nicht abseits stehen können und unweigerlich in einem Kerker enden. Und das würde zu ihrer Entlarvung und damit zu einem schmählichen Tod führen.
    »Trink doch wenigstens ein Glas, um des lieben Friedens willen«, flüsterte Leutnant Semjon Tirenko, einer von Raskins Freunden, Bahadur leise zu.
    Schirin schauderte es bei dem Gedanken, weniger wegen Allahs Gebot, sondern weil sie die Folgen an anderen gesehen hatte undsicher war, dass sie selbst noch viel weniger vertrug als diese Männer. Kirilin war jedoch anzusehen, dass er nicht eher nachgeben würde, bis sie getrunken hatte oder ihm mit blanker Klinge gegenüberstand. Einen Moment lang fragte sie sich, was der Mann gegen Bahadur hatte, dann aber begriff sie, dass es ihm darum ging, Sergej zu verletzen. Er schien überzeugt zu sein, dass Sergej und sie ein verabscheuungswürdiges Verhältnis pflegten, und sie musste sich mit einem Mal das Lachen verkneifen. Wäre Sergej wirklich so stark an Bahadur interessiert, wie Kirilin annahm, hätte er ihr Geheimnis schon längst entdeckt. Stattdessen aber war er genauso blind wie alle anderen Männer, die nur auf die Hülle starrten und nicht zu erkennen vermochten, was darunter steckte. Diese Erkenntnis half ihr jedoch nicht weiter. Entweder sie riskierte, von Kirilin getötet zu werden, oder sie erzürnte Allah, indem sie ein berauschendes Getränk zu sich nahm. Sie mochte sich kaum eingestehen, wie leicht ihr die Wahl fiel, und sie schämte sich, weil sie so sehr am Leben hing.
    Mit einem Lächeln, dem man nicht ansehen konnte, wie viel Kraft es ihr abforderte, nahm sie ein Wodkaglas entgegen und hob es in die Höhe. »Auf Pjotr Alexejewitsch, den Zaren aller Russen, und seine glorreiche Armee!« Dann schüttete sie den Inhalt des Glases auf die gleiche Weise in sich hinein, wie sie es bei Sergej und den anderen gesehen hatte. Sofort blieb ihr der Atem weg. Mund, Kehle und Schlund brannten, als würden dort die Feuer der Dschehenna entzündet, und dann traf ein Schlag ihren Magen, der ihn fast explodieren ließ. Verzweifelt rang sie nach Luft, während die Männer um sie herum sich vor Lachen bogen. Nur Sergej blieb still und klopfte ihr auf den Rücken, weil er glaubte, sie hätte sich verschluckt. Doch auch um seine Mundwinkel spielte ein amüsiertes Lächeln.
    »Auf einem Bein steht man nicht!« Schischkin ergriff ein Glas, drückte es Schirin in die Hand und zwang sie, es zu leeren. Sie war zu schockiert, um sich wehren zu können, und kämpfte erneut mit dem Höllenfeuer, das in ihrem Körper tobte.
    »Du trinkst ja wie ein Mädchen!«, spottete Kirilin. »Da sind deine Landsleute schon aus einem anderen Holz geschnitzt. Ilgur zum Beispiel leert eine ganze Flasche und trifft dann mit Pfeil und Bogen einen Hirsch auf fünfzig Schritt ins Herz. He, Männer, ich sage, dieser Bahadur ist nicht mehr als ein in Männerkleidung gestecktes Mädchen!«
    Die höhnischen Worte drückten weder Verdacht noch Wissen aus, und doch trafen sie Schirin bis ins Mark. »Ich bin ein genauso guter Tatar wie jeder andere!«, rief sie kämpferisch und ließ es zu, dass man ihr ein weiteres Glas Wodka reichte.
    »Auf uns Tataren!«, rief sie überlaut und trank mit Todesverachtung.
    Es blieb nicht das letzte Glas an diesem Tag, denn die jungen Offiziere überboten sich dabei, Bahadur zum Trinken zu bewegen.usatz
    Schirin spürte, wie der Alkohol Gewalt über sie bekam und eine seltsame Fröhlichkeit in ihr entflammte. Gleichzeitig hallten ihre Ohren, weil ihr die Stimmen der anderen mit einem Mal seltsam laut und schrill

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