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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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erschienen. Obwohl ihr Geist alles überdeutlich aufnahm, wurde ihre Zunge immer schwerer, bis sie nur noch unverständliche Worte vor sich hin brabbelte. Irgendwann spürte sie, wie ihr Magen sich umstülpte und seinen Inhalt mit aller Kraft nach oben drückte. Sie versuchte noch, den Abtritt zu erreichen oder wenigstens ins Freie zu kommen, bevor sie alles von sich gab, doch sie torkelte nur ziellos vor sich hin.
    Sergej sah, dass Bahadur sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte, und fasste ihn unter dem Arm. »Komm, ich bringe dich nach Hause.«
    Seine Stimme klang wie aus weiter Ferne kommend, und gleichzeitig vernahm Schirin das Gelächter der anderen so laut wie den Glockenschlag der russischen Basiliken. Es ließ ihren Kopf vibrieren; gleichzeitig drehte sich die Welt um sie herum, und ihre Beine wollten sie nicht mehr tragen. Als frische Luft ihr Gesicht traf, kam sieein wenig zu sich und stellte fest, dass Sergej sie wie ein Bündel Lumpen mit sich schleppte.
    »Lass mich herunter! Ich kann selber gehen«, nuschelte sie.
    »Natürlich kannst du selber gehen, aber so kommen wir besser voran!« Ohne auf Bahadurs fahrige Abwehr zu achten, trug er ihn zum Kanalufer und hielt ihn so, dass sein Oberkörper über dem Wasser hing.
    Im gleichen Moment übergab Schirin sich und würgte, bis zuletzt nur noch gelbe Galle hochkam.
    Sergej sah mitleidig zu, wie Bahadur sich quälte, und fühlte sich an jenen Abend erinnert, an dem er das erste Mal versucht hatte, beim Trinken mit den erwachsenen Männern mitzuhalten. In jener Nacht hatte er sich gewünscht, sterben zu können, und ihm war klar, was der Bursche, der nicht älter als fünfzehn Jahre sein konnte, jetzt durchmachte.
    Er versuchte, Bahadur ein wenig aufzumuntern, bekam aber nur ein leises Wimmern als Antwort und ein Würgen, dem übel riechende Luft folgte. Dabei sah der Kleine so jämmerlich aus, dass Sergej am liebsten in das Palais Raskin zurückgekehrt wäre, um Kirilin vor allen anderen Offizieren für die gemeine Art, mit der er den Tataren zum Trinken gezwungen hatte, zu ohrfeigen und ihm danach mit dem Säbel zur Verfügung zu stehen. Doch er durfte seinen jungen Freund jetzt nicht im Stich lassen, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als ihn auf die Arme zu nehmen und in ihr Quartier zu tragen.

II.
    Als Schirin am nächsten Tag erwachte, war es ihr, als wühlten tausend kleine Teufel mit glühenden Forken in ihrem Kopf, während ein paar andere mit Schmiedehämmern auf ihre Schädeldecke einschlugen. Ihr Mund schien nur noch aus einer fauligen Masse zu bestehen und ihr Magen aus einem Knoten rohen Fleisches. Vor Schmerzen stöhnend wälzte sie sich herum.
    »Na, Söhnchen, endlich aufgewacht?«, hörte sie Wanja sagen.
    »Was ist geschehen?«, fragte sie mit krächzender Stimme.
    »Du hast zu viel Wodka getrunken.«
    »Unsinn, ich trinke nie, denn Allah hat alles verboten, was trunken macht!« Im nächsten Moment aber erinnerte sie sich daran, dass Kirilin sie gezwungen hatte, mehrere Gläser Wodka hinabzustürzen, weil sie sich andernfalls mit ihm hätte duellieren müssen. Nun bedauerte sie, dass sie nicht auf den Zweikampf eingegangen war, denn schlechter als jetzt hätte es ihr danach wohl auch nicht gehen können.
    Du hättest nur tot sein können!, sagte ein Funken ihres immer noch umnebelten Verstands zu ihr, aber sie schob den Gedanken sofort von sich weg.
    »Ich bringe den Kerl um!« Sie richtete sich zornig auf und stöhnte, weil ein Keulenhieb ihr die Hirnschale zu sprengen drohte.
    »Vorsicht, Söhnchen! Nach so viel Wodka, wie du ihn in dich hineingeschüttet hast, ist es einem, als bestände der Kopf aus Glas und könne jeden Augenblick zerspringen.«
    Schirin ließ sich jedoch nicht beruhigen, denn sie kochte vor Zorn. »Ich bringe ihn um!«, wiederholte sie ein paarmal und knirschte dabei mit den Zähnen.
    Wanja starrte sie verblüfft an. »Wen willst du umbringen?«
    »Kirilin!« Es klang wie ein Fluch.
    Wanja hatte von Sergej erfahren, was bei der Feier vorgefallen war, und erschrak beim Anblick des Hasses in Bahadurs Augen. Der kleine tatarische Kampfhahn sah trotz seines üblen Zustands so aus, als wolle er seiner Drohung Taten folgen lassen. Beschwichtigend hob er die Hände und versuchte zu lächeln. »Aber nicht sofort, Söhnchen! Komm, ruh dich erst einmal aus, damit du wieder zu Kräften kommst. Dann kannst du an Rache denken. Ich habe hier ein Mittel, das hilft dir schnell wieder auf die Beine.«
    Schirin horchte in

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