Die Tatarin
sich hinein und fand, dass das schlimmste Mittel gegen die Schmerzen in ihrem Kopf und die Übelkeit noch harmlos sein musste, und streckte gebieterisch die Rechte aus. »Gib es mir!«
Wanja schlurfte zu dem wackeligen Gestell, auf dem sie ihre Kochutensilien aufbewahrten, und griff nach einem großen Glas mit einer weißlichen Flüssigkeit, in der klein geschnittene Kräuter schwammen. »Du musst es in einem Zug trinken, sonst bringst du es nicht über die Lippen!«
Schirin riss ihm das Glas aus den Händen und stürzte den Inhalt hinab. Im gleichen Augenblick schrie sie vor Wut und Enttäuschung auf. »Das ist ja Wodka!« Doch sie hatte bereits alles geschluckt.
»Nicht nur«, berichtigte Wanja sie. »Da sind etliche Kräuter dabei, die deinem Magen gut tun, Kümmel zum Beispiel, und Kalmus, ein wenig Knoblauch, eine Prise schwarzer Pfeffer, Magentrost und noch einige andere. Du wirst sehen, es hilft dir.«
Sie hörte kaum hin, sondern keifte wie ein Marktweib. »Du hast mich betrogen!« Das letzte Wort ging halb unter, denn ihr Magen ruckte, und aus ihrer Kehle brach ein Schwall übel riechender Luft.
»Na siehst du, Söhnchen! Es kommt ja schon raus. Du wirst sehen, gleich geht es dir besser.« Wanja grinste, behielt den Tataren aber sorgsam im Auge, denn der Bursche sah immer noch so aus, als wolle er ihm den nächstbesten Gegenstand an den Kopf werfen.
Schirin war auch kurz davor, es zu tun, aber ehe sie einen geeigneten Gegenstand fand, stieß sie erneut auf und spürte, wie ihre Übelkeit allmählich nachließ. Auch der bohrende Schmerz in ihrem Kopfmilderte sich, und als sie mehrmals kräftig durchatmete, hatte sie nicht mehr das Gefühl, sich im nächsten Moment übergeben zu müssen. »Danke! Ich fühle mich wirklich besser. Aber das wird Kirilin nicht vor meiner Rache bewahren.«
Sie stand auf und ging ein paar Schritte hin und her, dabei glitt ihr Blick suchend durch den Stall. »Wo ist Sergej Wassiljewitsch?«
»Er ist heute Morgen in Väterchen Apraxins Palast befohlen worden und hat mir aufgetragen, mich während seiner Abwesenheit um dich zu kümmern. Er wird hoffentlich bald zurückkommen.« Wanja bedauerte es beinahe, Bahadur das Mittel gegeben zu haben, denn der kleine Kampfhahn sah ganz danach aus, als wolle er jeden Moment aufbrechen und Kirilin die Kehle aufschlitzen.
»Du solltest das nächste Mal nicht so viel trinken, Söhnchen. Weißt du, so richtig saufen, das können nur wir Russen. Für euch Tataren ist das nichts.«
Er brachte es so treuherzig heraus, dass Schirin unwillkürlich lachen musste. In ihr tobte immer noch der Zorn auf Kirilin, aber sie begriff, dass sie nach dem gestrigen Rausch noch nicht einmal den Säbel würde halten können. Auch machte sie sich klar, dass sie ohnehin nicht richtig kämpfen konnte, während Kirilin besonders geschickt mit der Waffe umzugehen wusste, denn andernfalls wäre er nicht in die Garde des Zarewitschs aufgenommen worden. Sie setzte sich vorsichtig auf ihren Strohsack und ließ sich von Wanja mit einem stark riechenden Tee versorgen, dem er, wie er hoch und heilig versicherte, nur heilende Kräuter beigemischt hatte, aber nicht das geringste Schlückchen Wodka. Als sie ihm den leeren Tonbecher zurückgab, wollte sie wissen, weshalb Apraxin Sergej hatte rufen lassen.
»Wahrscheinlich sind unsere Baschkiren eingetroffen, und wir müssen uns um sie kümmern«, murmelte er wenig begeistert.
Schirin nickte nachdenklich und fragte sich, was nun aus ihr werden sollte. Sie galt ja nicht mehr als Geisel, sondern als Krieger des Zaren. War sie Pjotr Alexejewitsch deswegen zu besonderer Treue verpflichtet,obwohl sie zu diesem Schritt gezwungen worden war? Doch es war immer noch ihr Leben, und niemand, weder der Zar noch sonst jemand, besaß das Recht, über sie zu bestimmen, und sie überlegte, ob sie ihre neuen Freiheiten ausnutzen sollte, um Goldfell zu holen und mit ihm nach Sibirien zurückzukehren.
Während Schirin noch Pläne wälzte, wie sie am besten zum Uralgebirge und darüber hinweggelangen konnte, kehrte Sergej zurück. »He, du bist ja schon auf den Beinen!«, rief er überrascht, als er Bahadur auf seinem Lager sitzen sah.
Wanja nickte stolz. »Ich habe dem Jungen mein Spezialmittel verabreicht, und es hat schon gewirkt. Nun, Sergej Wassiljewitsch, was wollte das Väterchen Gouverneur von Euch?«
Sergej winkte ab. »Ich habe Apraxin nicht einmal zu Gesicht bekommen. Einer seiner Sekretäre hat mich empfangen und mir erklärt,
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