Die Tatarin
Seine Exzellenz sei nicht bereit, Leute wie uns nutzlos herumlungern zu lassen. Wir sollen ab morgen einen Teil der Festungsarbeiten überwachen und die Leute notfalls zu größerer Leistung antreiben.«
Wanja spie angewidert ins Feuer. »Ich bin Soldat, aber kein Sklaventreiber!«
»Glaubst du, mir gefällt das? Aber es ist nun einmal der Wille des Gouverneurs, und der kommt, wie du weißt, gleich hinter dem des Zaren.« Sergej war weniger verärgert, als seine Worte glauben machten, sondern sogar ein wenig froh um diese Aufgabe, verhinderte sie doch, dass er tatenlos herumhockte und ständig an die Schweden denken musste.
Wanja tat die Sache mit einer Handbewegung ab und kam auf das zu sprechen, was ihm mehr Sorgen bereitete. »Unser kleiner Kampfhahn dort will Kirilin für seinen gestrigen Streich zur Ader lassen.«
Sergej wandte sich Bahadur zu und musterte ihn spöttisch. »Das solltest du bleiben lassen! Ich habe dich bei dem Gefecht auf der Sankt Nikofem beobachtet. Für einen Tataren magst du ja eine halbwegs brauchbare Technik haben, doch gegen einen Gardeoffizierdes Zaren kommst du nicht an. Der macht Schisch Kebab aus dir, bevor du auch nur weißt, wie dir geschehen ist.«
Obwohl er damit durchaus Recht hatte, ärgerte Schirin sich über seinen Spott. Ungeachtet ihres schmerzenden Kopfes sprang sie auf und funkelte ihn zornig an. »Du überheblicher, russischer Ochse! Ich werde dir zeigen, wie ein Tatar kämpfen kann!« Dabei griff sie nach ihrem Säbel, schleuderte die Scheide quer durch den Stall und erschreckte damit ihr Saumpferd.
Sergej schüttelte lachend den Kopf. »Ginge es um ein Duell der Worte, würdest du wohl jeden besiegen. Der Kampf mit einer blanken Klinge ist jedoch etwas ganz anderes. Bevor du dich mit einem Kirilin messen kannst, musst du noch sehr viel lernen, mein Kleiner.«
»Ich bin nicht dein Kleiner!«, fauchte Schirin ihn an, lenkte dann aber ein. »Aber du hast Recht, wenn du sagst, dass mir die Übung fehlt. Woher soll ich die in diesem Nest bekommen? Zu Hause hatte ich meine Freunde, mit denen ich trainieren konnte.«
Sergej breitete die Arme aus. »Hier hast du doch auch Freunde, zum Beispiel Wanja und mich. Wir sind gerne bereit, deinem Fechttalent auf die Sprünge zu helfen.«
Wanja schüttelte betrübt den Kopf. »Also, Väterchen Hauptmann, ich mag vielleicht in einer Schlacht gut zuhauen können, für ein Duell fehlen mir jedoch die leichte Hand und das scharfe Auge.«
»Jetzt stell dein Licht nicht unter den Scheffel, Alter, denn so schlecht bist du nicht. Auch du könntest Bahadur noch einiges beibringen. Aber fürs Erste werde ich ihm wohl eine kleine Lektion erteilen. Bist du bereit?«, wandte Sergej sich an Bahadur.
Schirin nickte und sah zu, wie Sergej seinen Mantel auszog und in eine Ecke warf und dann blank zog. Ihre Kopfschmerzen waren mit einem Mal wie fortgeblasen, und ihr Magen machte sich auch nur noch durch ein fernes Ziehen bemerkbar. Aufmerksam sah sie zu, wie Sergej die Waffe auf europäische Art präsentierte und grüßte.
»Mach es mir nach, damit man dich nicht für einen asiatischen Tölpel hält!«
Schirin ärgerte sich über seine herablassende Art, befolgte aber seine Anweisung. Sergejs Augen weiteten sich bei ihren eleganten und geschmeidigen Bewegungen, und er nickte unbewusst. »Nicht schlecht! Aus dir kann noch etwas werden. Jetzt greif mich an!«
Das musste er nicht zweimal sagen. Schirin schoss wie ein Blitz auf ihn zu und zwang ihn zu einer energischen Parade. Bevor er jedoch selbst attackieren konnte, zischte ihre Klinge bereits wieder auf ihn zu. Da es eng im Raum war, geriet er an die Absperrung, die den Platz für die Pferde abtrennte, stolperte darüber und stürzte zwischen die Beine von Moschka. Zum Glück war sein Brauner ein ruhiges Tier, sonst hätte er einige Huftritte hinnehmen müssen. Wütend über sich und die Tatsache, dass er den jungen Tataren unterschätzt hatte, stand er auf und stellte sich erneut zum Kampf. Er war so begierig, es Bahadur heimzuzahlen, dass er nicht einmal die Strohhalme abstreifte, die auf seinen Haaren und seiner Uniform hängen geblieben waren.
Sergejs erste Hiebe fielen so hageldicht, dass Schirin beinahe die Waffe aus der Hand geprellt worden wäre. Jetzt fühlte sie die Schwäche, die der gestrige Rausch verursacht hatte, doppelt so stark, aber sie war nicht bereit aufzugeben. Sie verteidigte sich verbissen und nutzte geschickt die wenigen Lücken aus, die ihr Sergejs Angriff bot.
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